Ilja Stephan Musikpublizist

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Toshio Hosokawa - Eine Insel der Seligen?

In „Hanjo“ greift Hosokawa auf ein sechshundert Jahre altes nationales Kulturdenkmal Japans, das Nô-Theater, zurück; diese Vorlage wird gesehen durch die Optik eines der bedeutendsten japanischen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts mehr...


Toshio Hosokawa - "Blumen, die auf Schweigen blühen"

Die selbst gewählte Aufgabe des japanischen Komponisten Toshio Hosokawa ist die „Suche nach einer neuen Form spiritueller Kultur und Musik des japanischen Volkes“ mehr...

Toshio Hosokawa Stille und Klang, Schatten und Licht
Gespräche mit Walter-Wolfgang Sparrer, hg. Walter-Wolfgang Sparrer,
Wolke, Hofheim am Taunus 2012, 224 S., 24,80 Euro

Die 15 Gespräche mit Toshio Hosokawa, die Walter-Wolfgang Sparrer zwischen 2008 und 2009 mit dem japanischen Komponisten führte, sind Zeugnis eines Dilemmas: „Ich fühle mich sehr wohl in Europa“, bekundet Hosokawa, „aber manchmal denke ich, was mache ich hier?“ Hosokawas nennt sich selbst einen „europäisierten Japaner“. Sein Denken dreht sich vornehmlich um Grundbegriffe einer genuin japanischen Ästhetik, sein Publikum aber sitzt hauptsächlich in Europa. Die Interviews schildern eng an Hosokawas Biografie und Werkverzeichnis entlang die Geschichte dieses Standortproblems. Sparrer entlockt seinem Interviewpartner viele Einzelheiten zu frühkindlichen Eindrücken, Bildungseinflüssen und vor allem Details zu seinen Kompositionen. Programmheftschreiber und Dramaturgen können diesen Band also durchaus als bisher vollständigstes Hosokawa-Kompendium gebrauchen.

Von grundlegenderem Interesse aber sind die Passagen, in denen Hosokawa sich vom chronologischen Leitfaden löst und auf Grundbegriffe seiner Poetik wie Energie, Stille, Natur zu sprechen kommt. Am aufschlussreichsten schließlich ist die Bewegung, die durch die gesamte Biografie hindurchgeht; sie ist im Wortsinne eine Ent-deckungsreise. Hosokawa wurde 1955 geboren. Sein Lebensweg verläuft parallel zur Modernisierung, Verwestlichung und Industrialisierung seiner Heimat. Während die japanische Eigenart in Japan selbst von Beton und technischem Fortschritt zunehmend verdeckt werde, so Hoskawa, ent-deckte er von Europa aus das Erbe seiner Heimat und seine eigenen, meist unbewusst gebliebenen Prägungen. Dass so viele Gesichter in seiner Geburtsstadt Hiroshima von Brandnarben gezeichnet waren, sei ihm erst rückblickend bewusst geworden. Die Begegnung mit traditioneller japanischer Musik habe zwar zu seinen Kindheitseindrücken gehört; mit offenen Ohren wahrgenommen aber habe er sie erstmals 1978 beim Berliner Metamusik Festival.

Die Lehrer und Kollegen, denen Hosokawa in Europa begegnete, gaben so vor allem Hilfestellung bei dem fortschreitenden Projekt, seine Intuition vom japanischen Wesen mit eigenen, zeitgemäßen Mitteln auszuformulieren. Die Idee, sich „ein eigenes Instrument zu bauen“, indem er den Klang europäischer Orchesterinstrumente verfremdet, verdankt Hosokawa ebenso Helmut Lachenmann wie den Hinweis auf die Denker der Kyoto-Schule, bei denen er den philosophischen Überbau für sein Lebenswerk fand. Erst wenn man Hosokawas Werdegang und sein kompositorisches Projekt als „Arbeit am Selbst“ versteht, wird klar, wieso ein im Wesentlichen chronologisch voranschreitender Abriss von Leben und Werk auf ein letztes Kapitel mit dem Titel „Geburt“ hinausläuft.

Die 15 Gespräche werden ergänzt durch ein Geleitwort von Helmut Lachenmann, den Wiederabdruck von Hosokawas grundlegendem Text „Aus der Tiefe der Natur“, einem kurzen Interview zu den Folgen der Erdbeben- und Atomkraftwerkkatastrophe im März 2011 sowie einem Anhang aus Chronik, Werkverzeichnis, Diskografie und Bibliografie.