Ilja Stephan Musikpublizist

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Ensemble Sarband - Zwischen den Kulturen
Vladimir Ivanoff und das Ensemble Sarband
in: Welt am Sonntag, 24. Juli 2011, Hamburg-Teil.

Ein Anruf bei dem Leiter des Ensemble Sarband, Vladimir Ivanoff, ist eine verwirrende Erfahrung. „Eigentlich bin ich ein Bayer“, sagt der in Bulgarien geborene Experte für orientalische Musik mit hörbar bajuwarischem Zungenschlag. Und auch der Name seines Ensembles „Sarband“ sorgt für Irritation. Lesefehler wie „Saraband“ oder „Star-Band“ seien die Regel, so Ivanoff. Tatsächlich stammt der Name aus der Sanskritwurzel „bandhah“, die steckt im deutschen „Band“ ebenso wie in der englischen „band“. Die Bezeichnung „Sarband“ für eine improvisierte „Brücke“ zwischen zwei Musikstücken habe er in einem alten persischen Traktat gefunden, erzählt der Musikologe.

Verbindungen zu schaffen, Brücken zwischen Erfahrungsbereichen und Kulturen zu schlagen, ist denn auch die Idee der beiden Programme, mit denen Ivanoffs Ensemble Sarband nun beim Schleswig-Holstein Musik Festival gastiert. Zusammen mit dem Festival Chor und zwei wirbelnden Mevlevi-Derwischen spielt das Ensemble am 28.7. in Lüneburg und am 29.7. in Lübeck Psalmenvertonungen jüdischer, christlicher und muslimischer Komponisten des 16. und 17. Jahrhunderts. In Hamburg untermalt das Ensemble Sarband am 26.7. auf Kampnagel den Hollywood-Stummfilmklassiker „The Son of the Sheik“ mit arabischer Kunstmusik.

Schon die Antwort auf einfache Frage, was sein Ensemble denn für Musik spiele, ist für Ivanoff eine „komplexe Geschichte“. Das Ensemble besteht aus einem Pool von 25 Musikern aus Europa, der Türkei, den arabischen Ländern und China. Jeder bringt die Traditionen seines Kulturkreises ein. „Ich kenne kein Ensemble, das ein so weites Repertoire hat, wie wir“, behauptet Ivanoff und beginnt aufzuzählen: Historisch reiche das Sarband-Repertoire vom 4. bis zum 20. Jahrhundert; geografisch konzentriere man sich auf den Mittelmeerraum, also das Gebiet, in dem die drei großen Buchreligionen Judentum, Christentum und Islam sich begegnen. In CD-Shops fände man das Ensemble wahlweise in den Schubladen Alte Musik oder Weltmusik.

Zeiten und Kulturen überspannender Einheitsbrei ist aber Ivanoffs Sache nicht. Ihn treibt vielmehr ein waches, aus tiefer Sachkunde geborenes Bewusstsein für Differenzen, für Klischees und Muster, die unsere Wahrnehmung des Anderen und Fremden bestimmen: „Viele denken, türkische Musik sei das, was sie im Döner-Laden um die Ecke hören“, so spöttelt Ivanoff über Orientierungsprobleme im interkulturellen Musikuniversum. Als didaktisch oder aufklärerisch möchte er seine Programme aber nicht verstanden wissen: „Wir sind Musiker“, lautet sein Credo. Dem Publikum einen Spiegel vorzuhalten, ist gleichwohl die Grundidee vieler Sarband-Konzerte.

Stilprägende Klassiker westlicher Orientfantasien sind die Hollywood-Filme „The Sheik“ und „The Son of the Sheik“ mit Rudolf Valentino. Deren Romanvorlage stammt von der englischen Autorin E. M. Hull. Die Strohwitwe eines zur Armee eingezogenen Schweinezüchters überließ sich in ihrem 1919 erschienenen Buch „The Sheik“ hemmungslos ihren Frauenfantasien von einer reiselustigen Engländerin, die von einem leidenschaftlichen Beduinen in sein Zelt entführt wird. Weil aber eine solche Liebe zwischen einer Lady und einem Sohn der Wüste doch gar zu anstößig war, stellt Hulls Scheich sich schließlich als verlorener Sohn eines englischen Edelmannes heraus.

Die Verfilmung dieses Bestellers mit Valentino in der Hauptrolle machte den Schauspieler 1921 zum ersten männlichen Sexsymbol der Filmgeschichte. Diesem Bild des Orients, wie es seither in zahllosen Filmen zitiert wird, stellt Ivanoffs internationale All-Star-Band die von einem strengen Ethos und Regelkanon beherrschte original-arabische Kunstmusik entgegen.

Durchaus provokant ist auch das Sarband-Projekt einer „Arabischen Passion“. Das Schlüsselwerk der europäischen Kirchenmusik, Bachs Matthäuspassion, haben Ivanoff und seine Mitstreiter mit improvisierter arabischer Musik, Jazz und Bildern verbunden, die nicht „eingebettete“ Fotojournalisten aus dem Irak mitgebracht haben. Einfach nur orientalische Musik zu hören, so ist Ivanoff überzeugt, sei wie mal indisch Essen gehen: ein folgenloser kulinarischer Seitensprung. „Aber wenn sie einen irakischen Geiger haben, der Bachs ‚Erbarme Dich‘ spielt, hören sie etwas, was sie aus vielen Karwochen genau kennen. Und auf einmal rückt dieser Iraki unglaublich nah an sie heran.“ Solche Experimente mit dem kulturellen Koordinatensystem des Publikums sind das Erfolgsgeheimnis des Ensemble Sarband.

Gegründet hat Ivanoff das Ensemble bereits 1986. Heute spielt er mit seinen Musikern in der Berliner Philharmonie oder dem Lincoln Centre. Doch der große Erfolg kam erst durch die Weltpolitik. Unmittelbar nach dem 11. September 2001 hätten viele Freunde ihm gesagt: „Jetzt kannst du dein Ensemble dichtmachen.“ Das Gegenteil war der Fall. Schon eine Woche nach dem 11. September habe die Deutsche Grammophon angerufen und Interesse an CD-Projekten bekundet. Den gegenwärtigen Orient-Boom sieht Ivanoff allerdings mit gemischten Gefühlen. „Viele Künstler springen auf diesen Zug auf, weil‘s einfach Mode ist.“

Für die Festivals und Philharmonien von Schwetzingen über Ludwigsburg bis Berlin mag das gelten, an der Musikmetropole Hamburg ist dieser Boom bislang vorbeigegangen. Abgesehen von Einzelinitiativen im Völkerkundemuseum oder an der Musikhochschule findet außereuropäische Kunstmusik im hiesigen Konzertleben so gut wie nicht statt.

Hamburgs Generalintendant, der Ex-Wiener Christoph Lieben-Seutter, hatte zum Abschluss seiner Zeit am Wiener Konzerthaus dort eine Weltmusikreihe etabliert. Vielleicht bekommt ja auch die Hansestadt, wenn die Elbphilharmonie erst einmal steht, ein solches Ohr zur Welt.