Ilja Stephan Musikpublizist

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Ganz Ohr oder Die Kunst des Hinhörens
Burkhard Friedrichs Installation "Echo-Kammer" im Klang!-Container
in: Begleittext zur Installation, Klang!-Container Juni 2011.

Fans von Agentenfilmen kennen die Situation: Der junge, frisch rekrutierte Nachwuchsspion wird von seinem Führungsoffizier zum Treffen in ein Restaurant bestellt. "Was siehst Du?", will der Ausbilder von ihm wissen. Und der Jungagent beginnt mit von ängstlicher Erwartung geschärften Sinnen einen Rapport im Sherlock-Holmes-Stil. "Der ca. 45-jährige Mann am Tisch hinten links schaut auffällig angestrengt zur Tür. Abdrücke auf dem Nasenbein verraten, dass er seine Brille abgenommen hat- vermutlich aus Eitelkeit. Der wartet auf nur auf sein Date. Keine Bedrohung. Aber die Frau auf 9 Uhr in 15 Schritt Entfernung behält in ihrem Schminkspiegel die ganze Zeit über die Küchentür im Blick; dabei dezenter Tremor in der linken Hand. Und die handgenähten, italienischen Maßschuhe des Kellners auf 7 Uhr passen nicht zu einem Angestellten in einem Billig-Restaurant. Die gehören zusammen - Vorsicht!" Von Ehrgeiz und Adrenalin zu kognitiven Höchstleistungen gedopt, sondiert der Neophyt das Feld, filtert und bewertet Informationen und ist in seiner Doppelrolle als Räuber oder mögliches Beutetier im Großstadtdschungel buchstäblich ganz Auge und Ohr.

Welcher Redner oder Künstler würde sich nicht eine ähnlich gespannte Aufmerksamkeit von seinem Publikum wünschen. Und welcher Rezipient würde nicht auch gerne -zumindest von Zeit zu Zeit - die Welt um sich herum ebenso scharf sehen, hören und erleben. Auf eine friedliche Weise, die Freiheit und Integrität des Betrachters wahrt, Situationen intensiven Zuhörens und -sehens herbeizuführen, das ist die Aufgabe und das Vorrecht der Kunst. Menschen, die dazu neue Konzepte - aber nicht zwangsläufig Werke - erdenken, sind Künstler. John Cage etwa konfrontierte sein Publikum 1952 in dem Stück "4,33" mit folgender Situation: ,Im Rahmen eines Konzertes kommt ein Pianist auf die Bühnen und setzt sich an den Flügel, um das angekündigte Stück "4,33" zu spielen. Das Publikum wartet, dass der Maestro anfängt, doch der rührt sich nicht, die Spannung steigt, der Pianist klappt den Klavierdeckel zweimal auf und zu, doch er spielt noch immer keinen Ton, volle viereinhalb Minuten lang. Dann steht er auf und verbeugt sich.´ Auf- und Abtritt setzten einen Rahmen und schufen Erwartung, was dazwischen stattfand, Gehuste im Saal, der Klang der eigenen Blutzirkulation, den Cage bei der Uraufführung wahrgenommen haben will, oder schlicht die Stille, das war die Musik. Cage hatte nur eine Situation geschaffen, in der seine Hörer für diese Erfahrung die Ohren spitzten.

Cages "4,33" ist längst ein Klassiker, sein Trick funktioniert aber nur dann wirklich, wenn man von ihm überrascht wird. Und zu dieser Unschuld des Hörens führt kein Weg mehr zurück. So müssen neue Situationen dieser Art geschaffen werden. Das tut Burkhard Friedrich in seiner "Echo-Kammer". Die Anregung für seine Ausgangsidee, für jenen Trick also, der uns Altbekanntes wieder neu hören und sehen lässt, fand Friedrich im Werk eines bildenden Künstlers: Der Fotograf Thomas Demand benutzt für seine Kunst bekannte Pressefotografien, die sich tief ins kollektive Bildergedächtnis eingegraben haben: Bilder der gestürmten und verwüstete Stasi-Zentrale etwa. Nach diesen Vorlagen baut er originalgetreue Papp- und Papiermodelle, die er abfotografiert. Die Modelle landen auf dem Müll. Deren Fotos aber vergrößert der Künstler auf Lebensgröße und hängt sie in Blickhöhe auf. Der Betrachter eines Demand-Bildes steht also vor einem Abbild des Modells eines Bildes der Realität, das er aus den Nachrichten kennt. Die kühle, sterile Atmosphäre dieser Abbilder löst zunächst Irritation aus. Einmal davon gefangen, schaut man genauer hin und erkennt nach und nach an zig Details den lebensähnlichen Fake. So kommt der Betrachter unweigerlich ins Grübeln über den Status der von Medien und Kunst produzierten zweiten- und dritten Wirklichkeiten. Was ist hier eigentlich noch Realität?

Bei den 2D-Abbildern eines Thomas Demand kann der Betrachter allerdings nur davorstehen, in Burkhard Friedrichs "Echo-Kammer" kann der Hörer hineingehen. Mehrere Tage lang hat Friedrich die klangliche Umgebung des Containers und dessen Eigenklänge erforscht und deren Aufnahmen auf Festplatte gebannt. Hören Sie sich draußen um: Da ist ein hohes, schrilles Quietschen des Schwimmpontons, der an seinem Poller reibt. Doch dieser Klang verändert sich im Laufe des Tages. Mit auflaufender Flut und heftigerer Bewegung wird ein tiefer, metallischer Brunftschrei daraus. Unter diesem Klang liegt ein dunkler Orgelpunkt, ein hintergründiges Brummen von den Standby-Motoren der Schlepper. Auf dem Weg vor dem Container hinterlassen unterschiedliche Arten von Absätzen, Sohlen oder Fahrradreifen unterschiedliche Schritt- und Rollgeräusche. Im Container selbst geht es klanglich ähnlich bunt zu: Die Streben klingen - und zwar sehr verschieden, je nachdem in welcher Höhe und Intensität man sie anschlägt. Dabei scheinen die Streben in der Mitte einen anderen Klang zu haben, als jene zur Tür hin, (sei es, dass der Untergrund dort anders ist, sei es, dass sie unter stärkerer Spannung stehen). Auf der Plastikverkleidung oder den Gittern der Lampen lassen sich hoch interessante Ratscher produzieren. Wenn man vorne im Raum an einem Element der Plastikverkleidung rüttelt, klappern auch die korrespondierenden Elemente hinten im Container. Die Schrittgeräusche sind keinesfalls überall gleich, in der Nähe der Klappe bei der hintern Schiebetür etwa knarren die Bodenplatten. Solche und ähnliche Klangerfahrungen hat Friedrich abmikrofoniert und aus diesem Rohmaterial ein akustisches Monogramm des Klang!-Containers und seiner Umgebung komponiert.

Eigentlich müsste Friedrichs Soundscape des Klangcontainers an diesem seinem letzten Standort volle 24 Stunden dauern, um die tageszeitbedingten Schattierung des Klanges voll würdigen zu können. (So, wie Monet die Kathedrale von Rouen in immer anderen Lichtverhältnissen gemalt hat). Aus aufführungspraktischen Gründen wird es aber vermutlich nur eine halbe Stunde werden. Doch auch die erlaubt dem, der sich darauf einlässt, eine besondere Hörerfahrung: Wird Friedrichs Komposition nämlich in dem Ort abgespielt, an dem sie entstand, sitzt der Hörer mitten in Original und Modell. Live und Playback, innen und außen, die aufgezeichneten Klänge aus den Lautsprechern und die realen Klänge vor Ort verschmelzen. Es entsteht eine mehrdeutige Hörsituation, die zum genauen Hinhören, zur akustischen Orientierung herausfordert. Diese Konstellation ist wahrhaft einzigartig, denn Friedrichs "Echo-Kammer" funktioniert nur hier und jetzt, im Klang!-Container an der Waterkant in Neumühlen.

Sie hören trotzdem nur Ponton-Quietschen und metallisches Klappern? Nehmen Sie sich einfach ein wenig Zeit und einen der Schaumstoffsitze. Es lohnt sich. Sie werden hören.