Ilja Stephan Musikpublizist

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Ádám Fischer - "Ich bin ein liberaler Mensch"
Der Dirigent Ádám Fischer
in: Welt am Sonntag, 16. März 2014, Hamburg Teil.

Stellt man Künstlern Fragen zur Politik, so bewährt es sich meistens, das Thema behutsam anzugehen und erst dann zu vertiefen, wenn man mit dem Gegenüber schon ein wenig vertraut geworden ist. Nicht so bei Ádám Fischer. Noch in der Künstlergarderobe, während er Mantel, Taktstock und Partitur zusammensucht, sprudelt es aus dem ungarischen Dirigenten nur so heraus: Ungarische Nationalisten würden derzeit darüber nachdenken, sich einen Teil der zerfallenden Ukraine zu sichern; auf die Karpat-Ukraine hätten es rechte Ideologen in Budapest abgesehen. Das Thema redet Fischer sich von der Seele, ehe das Interview überhaupt begonnen hat und auch nur ein Wort über die Werke von Mozart und Mahler gewechselt wurde, die er am 16. und 17. März in der Laeiszhalle dirigieren wird.

Im Jahr 2010 hatte Fischer mit seinem Rücktritt vom Amt des Generalmusikdirektors der Ungarischen Oper für einiges Aufsehen gesorgt. Damals gehörte er zu den Initiatoren einer Petition, die „Rassismus, Aggression gegen Minderheiten und Intoleranz in Ungarn“ anprangerte. Seither liegt Fischer mit den Nationalkonservativen und Europaskeptikern im Land seiner Herkunft im Dauerstreit.

Ebenso leidenschaftlich wie über Politik redet Ádám Fischer über Musik. Er initiierte ein Haydn-Festival in Eisenstadt, legte Gesamteinspielungen aller Haydn- und Mozart-Symphonien vor und gründete in den 1980er-Jahren eine „Österreichisch-ungarische Philharmonie“. Nennt man ihn einen „Sachwalter des k.-u-k. Musikerbes“, huscht ein erfreutes Lächeln über sein Gesicht. Die Antwort auf Frage, was ihn an der Musik dieser Epoche fasziniert, führt zu den Grundbegriffen seines Selbstverständnisses: „Bei der Musik von Haydn und Mozart ist die Rolle des Interpreten ein Teil der Komposition. Wenn man diese Freiheit, oder sagen wir besser, diese Gestaltungsmöglichkeiten, nicht nutzt, versündigt man sich gegen diese Musik.“

Um Freiheit und Gestaltungsmöglichkeiten dreht sich auch alles, was Fischer zur Rolle des Dirigenten zu sagen hat. Dem Solo-Trompeter der Philharmoniker Hamburg, Stefan Houy, gibt er bei den Proben zu Mahlers Neunter mit, eine bestimmte Stelle müsse „überirdisch“ wirken. Houy fragt nach, ob er die Stelle mit Dämpfer spielen solle. Fischer überlässt ihm die Entscheidung – und fachsimpelt nach der Probe noch ein wenig mit dem Kollegen. Ganz bewusst will Fischer keine klare Ansage machen, sondern einen kreativen Prozess anstoßen: „Wenn ich zu Hause für mich einen Klang festlegen würde und dann vom Musiker genau diesen Klang verlange, würde das sinnentleert klingen. Ich muss ein Ziel festlegen, und dem Musiker so viele Möglichkeiten zur Gestaltung lassen, wie geht. Je weniger ich den Weg zum Ziel vorschreibe, umso besser wird das Ergebnis.“

Die Beschneidung von Gestaltungsmöglichkeiten erweckt bei Ádám Fischer selbst dann Widerwillen und Widerspruch, wenn sie von einem der ganz Großen der Komponisten- und Dirigentenzunft stammt. Die akribische Art, mit der Gustav Mahler jedes kleinste Detail der Ausführung seiner Musik festlegte, bringt den Dirigenten Fischer geradezu in Rage. In der Fünften Symphonie würde Mahler dem Pauker gar vorschreiben: „Gut stimmen“ – als wäre das nicht eine Selbstverständlichkeit. So wittert Fischer in der Notation des genialen Kollegen vor allem Misstrauen gegenüber den Interpreten. – Und er erinnert mit einem Schmunzeln daran, dass sich just in der Mahler-Stadt Wien Generationen von Musikern über die Spielanweisungen des alten Orchestertyrannen nonchalant hinweggesetzt hätten.

Festlegungen aller Art sind eindeutig Ádám Fischers Sache nicht. In der Musik betrachtet er die Idee, es könne eine einzige, verbindliche Lesart eines Werkes geben, sogar mit kaum verhohlener Verachtung: „Ich denke mehr und mehr, die Leute, die sich hinter den Vorgaben des Komponisten verschanzen, sind einfach zu faul.“ Und auch die Frage nach der eigenen Identität entlockt ihm keine einseitige Festlegung: „Man kann auch mehrere Identitäten haben. Als Musiker stehe ich einem italienischen Musiker viel näher als einem deutschen Rechtsanwalt oder ungarischen Beamten. Man muss offen sein.“ Nur eines erklärt Fischer mit letzter Verbindlichkeit: „Ich bin ein liberaler Mensch.“

Forscht man nach den Ursprüngen dieser Haltung, stößt man unweigerlich auf die Geschichte der Familie Fischer. Die Großeltern wurden nach Ausschwitz deportiert; die Eltern blieben von dem Erlebten Zeit Lebens gezeichnet. Die Nachfrage des Gesprächspartners „Sie sind also ungarischer Jude?“ quittiert der Freigeist Fischer mit einem bitteren Lachen: „Hitlers Rassengesetzgebung hat uns zu ,ungarischen Juden‘ gemacht.“ Denn erst die Rassengesetzgebung habe Menschen über ihrer Abstammung definiert. Sein eigenes Judentum, das seien vor allem „die Ängste meiner Mutter“.

Seine Vision von Liberalität und das, was er die „europäische Idee“ nennt, sieht Fischer mehr und mehr bedroht, seit auch in Europa wieder Konflikte entlang ethnischer und religiöser Bruchlinien ausbrechen. Schlimmstes Beispiel dafür war bislang der Krieg im ehemaligen Jugoslawien: „Was der Jugoslawien-Krieg mich gelehrt hat, war, wie leicht Menschen zu fanatisieren sind“, bekennt Fischer und warnt zugleich vor dem Wiederaufleben des Nationalismus in Ungarn: „Die europäischen Politiker sollten mehr darauf achten, was sich da zusammenbraut. Jetzt könnte man noch einiges verhindern. Was heute in der Ukraine passiert, war auch schon vor 20 Jahren absehbar.“