Ilja Stephan Musikpublizist

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Zhang Jun - Der Prinz der Kunju-Oper
Eine Zeitreise durch Shanghai
in: Welt am Sonntag, 07. Februar 2010, Hamburg-Teil.

Wer heute an die chinesische Metropole Shanghai denkt, der denkt zuerst an die futuristische Skyline der Neustadt Pudong, an den Transrapid oder an zweistellige Wachstumszahlen. In Shanghais Partnerstadt Hamburg erinnert sich manch einer vielleicht auch noch an das alte Seemannswort vom „shanghaien“ – als Inbegriff des skrupellosen Menschenraubs. Woran dagegen kaum jemand denkt, ist die Kultur dieser über tausend Jahre alten Stadt im Herzen einer der reichsten und geschichtsträchtigsten Regionen Chinas.

Für ihre „Shanghai Festtage“ laden die Hamburger Symphoniker nun herausragende Vertreter der traditionellen Shanghaier Musik- und Theaterszene in die Hansestadt ein. Vom 12. bis 15. Februar wird man in der Laeiszhalle und dem Teehaus in der Feldbrunnenstraße Künstler erleben können, die in einer rasant sich modernisierenden „Global City“ ein kostbares Erbe bewahren.

Der Operndarsteller Zhang Jun etwa gilt in China als der „Prinz der Kunqu-Oper“; jener 600 Jahre alten Opernform, die die Mutter der rund 400 verschiedenen lokalen Opern-Traditionen im Reich der Mitte ist. Zhang ist offiziell ein „top level artist“, ein lebendes chinesisches Kulturdenkmal. Er hat jüngst mit Anfang dreißig seine Biografie veröffentlicht. Und seine Kunstform, die Kunqu-Oper, ist seit 2001 UNESCO-Weltkulturerbe.

Man kann vorab viel über Zhang lesen, aber nichts bereitet einen wirklich vor auf den Zauber der ersten Begegnung mit diesem Mann und seiner Kunst. In einer renovierungsbedürftigen Stadtvilla an der North Maoming Road, zu Füßen einer neuen Stadtautobahnbrücke, haben Zhang und seine Frau Jasmine sich ein Refugium eingerichtet, in dem das alte Shanghai wieder lebendig wird.

Den Besucher empfängt Jasmine mit perfektem Englisch und geleitet ihn zur ersten Station einer liebevoll inszenierten Zeitreise: dem alten Bibliothekszimmer. Hier ersteht das mondäne Shanghai der 1920er- und 30er-Jahre wieder auf, als die Stadt in dem Ruf stand, das „Paris des Ostens“ zu sein: Holzgetäfelte Wände, schwarz-weiß Fotos mit alten Stadtpanoramen und dazu tönt aus einem pseudo-alten Radio gedämpfter Old-Time-Jazz. Alles ist da, außer einer funktionierenden Heizung. Dafür reicht ein dienstbarer Geist im bodenlangen alt-chinesischen Gewand warmen Tee.

Während der Meister sich noch schminkt, parliert seine Gattin über die Tradition des Kunqu und dessen wichtigsten Dramatiker Tang Xianzu, den „chinesischen Shakespeare“. Dann geht es hinüber in den alten dining room, wo das junge Ehepaar sich ein exklusives Privattheater mit 29 Plätzen eingerichtet hat. Als Bühnenbild fungieren zwei Seidenvorhänge, und auf einer Empore hinter der Bühnenrückwand sitzt geduckt, direkt unter der hohen Stuckdecke ein Perkussionist.

Der lässt einen Wirbel hören, der dienstbare Geist hebt einen der Vorhänge und die Zeitreise führt noch einmal 500 Jahre zurück: Gemessenen Schrittes erscheinen Zhang und eine Partnerin als zwei zauberhafte Kunstfiguren, die sich bei einem Liebesduett aus dem Kunqu-Klassiker „Der Päonien-Pavillion“ zärtlich umtanzen. Die Liebe dieser beiden aber ist nur ein Traum, und dessen Darstellung ist so kunstvoll und künstlich wie eine höhere Wirklichkeit. Jeder Geste, jede Bewegung der Augen im maskenhaft geschminkten Gesicht, ja, selbst der Schwung der weiten Ärmel an den kostbaren Kostümen wird wie in einem Ritual zelebriert.

Die letzte Station der Zeitreise führt zurück in die Wirklichkeit, in die ungeheizte Bibliothek und ins 21. Jahrhundert. Zhang Jun hat sich abgeschminkt und gesellt sich zu den Gästen. Er, der eben noch ein „Hsiao Sheng“ war, ein jugendlicher Liebhaber und armer konfuzianischer Gelehrter, zeigt sich nun als ausgesprochen fotogener Yuppie, mit modisch zerzauster Frisur, der selbst in Jeans und Turnschuhen noch „bella figura“ macht.

Tatsächlich vereint das Ehepaar Zhang in seiner Inszenierung alles, womit die Stadt Shanghai heute ihre Besucher bezaubern und mystifizieren kann: die kulturelle Aura des alten China, das Erbe einer mondänen Metropole des frühen 20. Jahrhunderts und die Weltläufigkeit und den Lebensstil einer jungen Generation, die mit den extravaganten Glas- und Stahltürmen des neuen Shanghai groß geworden ist.

Die jungen Shanghaier von heute geben sich bewusst international. So nennt Jasmine ihren Mann, der auch schon mal Ausflüge in die Welt des Jazz wagt, stets „Jeffrey“. Sie selbst ist im Hauptberuf Pressesprecherin beim repräsentativsten Großprojekt, das Shanghai derzeit zu bieten hat: der EXPO 2010. Und gelernt ist gelernt: Als Managerin und Ehefrau in Personalunion klagt sie so quasi nebenbei ihre Sorge, wie der etwas schüchterne Jeffrey wohl dazu zu bewegen sei, die anstehende Gastvorlesung in Harvard doch bitteschön auf Englisch zu halten.

In Hamburg wird Jeffrey Zhang neben einer Probe seiner Kunqu-Kunst und einem Konzert mit neuer chinesischer Musik auch einen Workshop an der Musikhochschule geben. Mit ihm kommen insgesamt 29 Shanghaier Künstler, von den Musikern eines traditionellen chinesischen Orchesters bis zu den Schauspielern des eher volkstümlichen Pingtan-Theaters.

So wird man in Hamburg an vier Tagen im Februar einen wirklich profunden Überblick über die traditionelle Kultur einer 20-Millionen-Einwohner-Metropole erhalten, deren Wurzeln tausend Jahre zurückreichen, und die in den vergangenen zwei Jahrzehnten – wieder einmal – ein völlig neues Gesicht bekommen hat.