Ilja Stephan Musikpublizist

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Feinheit und Askese
Die geistige Welt und die Musik von Kaija Saariaho
in: Programmhefte Rheingau Musik Festival, Juli 2010.

So sinnlich und subtil die Musik Kaija Saariahos nach außen hin erscheinen mag, es schwingt in ihr auch ein radikaler, asketischer Idealismus mit. „Ich glaube an Reinheit“, so das Credo der finnischen Komponistin. „Nichts, was ist, ist ganz der Liebe würdig. Man muss lieben, was nicht ist.“ Diese Worte legt Saariaho in dem Oratorium „La Passion de Simone“ ihrer persönlichen Hausheiligen Simone Weil in den Mund. Doch das, „was nicht ist“, lässt sich künstlerisch nur näherungsweise fassen. So wird Saariahos Œuvre beherrscht von Bildern des Irrealen, Flüchtigen, Feinstofflichen, das kaum mehr greifbare Realität für sich beanspruchen kann. Im Durchgang durch drei Jahrzehnte ihres Schaffens begegnen einem Titel, Symbole und Metaphern dieser Art immer wieder. Dabei ist Saariahos beliebtester Topos das Licht. „Licht ist stilles Glas; ein lebendiges Bild in der Zeit, das Geräusch von brechendem Glas ist der Klang des Lichts“, so schreibt sie zu einem ihrer frühesten Stück „Study of Live“ von 1981, das bereits für eine typische Saariaho-Besetzung geschrieben ist: Weibliche Stimme, Elektronik und Lichteffekte. Der Lichtreigen geht seitdem beständig weiter: „Lichtbogen“; eine Filmmusik zu „Wunder des Lichts“ oder ihr neuestes Cellokonzert „Notes on Light“ widmen sich diesem Thema. Dazu kommen Titel wie „Im Traume“ oder „From the Grammar of Dreams“; die flüchtige Schönheit der Blumen hat Saariaho u.a. in „Nymphea“ und „Petals“ inspiriert. Doch vor allem liebt sie die Idee der Spiegelung wie in „Nymphea Reflektion“, „Mirrors“ oder „Mirage“ (Luftspiegelungen).

Schaut man sich die Figuren an, die Saariaho auf der Opernbühne oder in ihren Liedzyklen zum Leben erweckt hat, bestätigt sich dieses Bild: Sie bevorzugt Figuren, deren schwebender Idealismus an der harten Realität zerschellt. Ihre Erfolgsoper „Eine Liebe aus der Ferne“ etwa erzählt die Geschichte des aquitanischen Ritters und Troubadours Jaufré Rudel, der sich in hoher Minne zu seiner fernen Herzensdame verzehrt. Die schöne Clémence aber möchte nur von einem abwesenden Liebhaber in Liedern verherrlicht werden. So zerfleischt Jaufré sich in Selbstzweifeln und stirbt schließlich bei der ersten realen Begegnung in den Armen von Clémence. Die wiederum geht ins Kloster, um sich dort – man weiß nicht genau – nach Gott oder ihrem verlorenen Liebhaber zu sehnen. An hohen Idealen ist auch die jüdische Mystikerin und Weltverbesserin Simone Weil zugrunde gegangen. Die zarte Frau aus reichem Hause ruinierte ihre Gesundheit durch Arbeit in einer Fabrik, wo sie das Leben der einfachen Leute führen wollte. Sie starb 1943 mit 34 Jahren an Tuberkulose und Unterernährung, weil sie sich weigerte, mehr zu essen, als die Häftlinge in deutschen Internierungslagern. Weils Buch „Schwerkraft und Gnade“ befand sich in Saariahos Reisegepäck als sie 1981 Finnland verließ, um in Freiburg zu studieren. In „La Passion de Simone“ setzte sie dann 2006 dieser mittelalterlichen Heiligen, die sich ins 20. Jahrhundert nur verirrt hat, ein Denkmal. Und in ihrem Liederzyklus „Aus der Grammatik der Träume“ vertonte Saariaho u.a. das Gedicht „Paralytic“ von Sylvia Plath. Geschrieben zwei Wochen vor ihrem Freitod, schildert die Dichterin darin das Hinüberdämmern eines lyrischen Ich, das sich aus dem Leben verabschiedet, während der vollständig gelähmte Körper nur noch von einer Lungenmaschine beatmet wird.

Man muss sich allerdings hüten, die Komponistin mit ihren Kunstgestalten zu identifizieren. „La Passione de Simone“ hat die Mutter Kaija Saariaho nicht von ungefähr ihren beiden Kindern Alex und Aliisa gewidmet. Ein gelungener Ausgleich zwischen einer geerdeten, praktischen Diesseitigkeit und der Lust an den Luftspiegelungen und Illusionen von Licht und der Liebe – an dem ihre Figuren scheitern – ist wahrscheinlich ein Betriebsgeheimnis der international erfolgreichen Komponistin. Als Musikern hat Saariaho sich im Kampf mit den Abstraktionen der seriellen Avantgarde und durch die intensive Auseinandersetzung mit der Denkweise und den Prozeduren der elektronischen Musik ein präzise handhabbares Klang-Vokabular für ihre Intuitionen erarbeitet. Und sie verfügt über ein Netzwerk hochklassiger Interpreten, für die sie schreibt und die mit ihrer Musik Erfolge feiern: Esa-Pekka Salonen, Jukka-Pekka Saraste, Anssi Karttunen, Karita Mattila oder Camilla Hoitenga haben einen Gutteil von Saariahos Stücken inspiriert bzw. uraufgeführt.

Die „Quatre Instants“ (Vier Momente) komponierte Saariaho ursprünglich für Karita Mattila, die sich ein Paradestück für ihre Solo-Recitals gewünscht hatte. Dem äußeren Anlass gemäß spricht Saariaho hier eine dramatischere, kontrastreichere Tonsprache als man es etwa von dem zarten „Lonh“ für Sopran und Elektronik kennt. Doch das lyrische Ich, das hier zu Wort kommt, liegt ganz auf der Linie typischer Saariaho-Figuren, die die Sehnsucht nach dem, „was nicht ist“, mehr lieben, als jede handgreifliche Realität. Autor der vier Gedichte ist Amin Maalouf, der zuvor schon das Libretto zu „Eine Liebe aus der Ferne“ verfasst hatte. (Und der auch der Librettist aller späteren Saariaho-Oper wurde.) Die „Vier Momente“ schildern die vier Stadien einer Liebe: In „Erwartung“ vergleicht sich die Liebende, halb erwartungsvoll, halb ängstlich, mit einem Boot auf stürmischer See, das mit vollen Segeln dem Geliebten entgegenstrebt. Dessen Annäherung wird ihr dann allerdings zur „Qual“. Während sich ihr Stolz dem Liebhaber widersetzt, entscheiden die Reflexe des Körpers gegen sie. „Reue, Reue verschlingt mich“, lautet so ihr wiederkehrender Refrain. In „Parfüm des Augenblicks“ liegen die Liebenden dann nebeneinander. „Du bist mir so nah / Doch ich schließe die Augen / Um Dich mir vorzustellen“, singt sie und destilliert noch während er bei ihr ist eine „Essenz der Erinnerung“ aus seiner Gegenwart. „Echos“ ist folgerichtig der letzte Moment betitelt, dessen Text nurmehr aus Zitaten der vorangegangen drei „Momente“ besteht.

Das musikalische Material für „Cendres“ entlehnte Saariaho aus ihrem Doppelkonzert für Alt-Flöte, Cello und Orchester „a la fumée“ (Dem Rauch entgegen); als das, was von Feuer und Rauch übrig bleibt, hat der Titel „Asche“ für das Trio also eine gewisse Folgerichtigkeit. Die musikalische Grundidee von „Cendres“ ist dabei ein Prozess wechselnder Annäherung und Entfernung zwischen den drei Instrumenten. Sehr deutlich ist dies gleich am Anfang zu hören, wo Cello und Klavier in einem homogenen Oktavklang noch ganz verschmolzen sind. Erst langsam schleichen sich andere Töne und Spieltechniken ein, bis sich nach ca. einer Minute beide Partner was Register und Klangcharakter angeht weit auseinander entwickelt haben.

„Changing Light“ (Wechselndes Licht) hat Kaija Saariaho für das „Compassion“-Projekt der Geigerin Edna Michell geschrieben. Die hatte 15 Komponisten gebeten, sich des Themas „Mitleiden“ anzunehmen. Saariaho wählte für ihren Beitrag einen Text des konservativen Rabbiners Jules Harlow, der die heikle Stellung des Menschen zwischen Zerbrechlichkeit und Unsicherheit auf der einen und seiner höheren, idealen Bestimmung auf der anderen Seite zum Thema hat: „Wir wohnen in zerbrechlichen, vergänglichen Unterschlüpfen / Gib standhafte Liebe, Mitleid, Gnade / Lass uns dauern, Herr, unser Ursprung ist Staub.“, heißt es dort. Ursprünglich wurde das Stück für Violine und Sopran geschrieben. Auf YouTube findet sich aber auch eine Version für Flöte und Sopran, die Saariahos Ehemann, der Video-Künstler Jean-Baptiste Barrière, zu einem „Visual Concert“ erweitert hat.

Die „Sept Papillons“ (Sieben Schmetterlinge) näheren sich dem Thema der Zerbrechlichkeit und Vergänglichkeit auf rein musikalische Art. Das Cello zählte, wie die Sopranstimme und die Flöte, von Anfang an zu Saariahos bevorzugten „Instrumenten“. Sie hat dessen Klang mit wissenschaftlicher Akribie erforscht. Ihr Stück „Lichtbogen“ etwa beruht auf einer Computer-Analyse des Cellotonspektrums. Und in früheren für Anssi Karttunen geschrieben Werken hat sie den Klang des Instrumentes mit den Mitteln der Elektronik buchstäblich unters akustische Mikroskop gelegt: Im Cellokonzert „Amers“ werden dessen vier Saiten einzeln von einem Mikrophon abgenommen und der Klang über vier Lautsprecher in den Raum projiziert. In jüngerer Zeit hat Saariaho von solchen technischen Verfahren wieder Abstand genommen. Bei den „Papillons“ muss und soll der Hörer ohne akustisches Vergrößerungsglas auf die subtilen Feinheiten der Tongebung horchen. Dabei flattert keiner dieser Schmetterlinge länger als zwei Minuten, während der intensiv gebrauchte Effekt des Bogen-Tremolo, dem Klang des Cellos zugleich etwas Irreales und Flüchtiges verleiht.