Ilja Stephan Musikpublizist

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Kit Armstrong - Portrait
Mit großer Konzentration von Ton zu Ton
in: "Hamburger Abendblatt", 13. Januar 2014

Die beiden kargen Elegien, die Franz Liszt in seinem letzten Lebensjahrzehnt schrieb, sind nicht gerade das, was man einen Publikumsrenner nennen würde. Dass Kit Armstrong am Sonntag bei seinem Recital in der Laeiszhalle ausgerechnet solche Werke ins Zentrum des zweiten Konzertteils stellte, verrät viel über das Wesen und das Musikdenken dieses jungen Pianisten und Komponisten.

Denn Liszt reduziert in seinen Elegien die Musik auf das Wesentliche. Fernab von allem pianistischen Pomp rücken die einstimmige Linie und die Spannung der Intervalle ins Zentrum des Interesses. Der Schritt von einem Ton zum nächsten wird zum Ereignis. Und von den vielen beglückenden Momenten an diesem Abend waren gerade die Stellen äußerster Reduktion und Konzentration die intensivsten. Hier lag das Arbeitsgeheimnis von Armstrongs Kunst offen dar.

Armstrong denkt in Linien. Das war in Reinkultur schon bei Bachs Choralvorspielen zu bewundern, mit denen er das Konzert eröffnete. Hier ist der melodische rote Faden, die Choralmelodie, eingebettet in einen Strom von Gegenstimmen und Figurationen. Dabei hat der Pianist Armstrong in den letzten Jahren gewaltig an Freiheit und Gestaltungskraft gewonnen. Statt der luziden, aber leicht sterilen Bach-Lesart, die noch bei seinem Hamburg-Gastspiel 2011 zu hören war, pulsierte das Linienspiel nun von innerem Leben.

Der Jungmeister des Silberstifts schuf Steigerungen und dynamische Höhepunkte; er dramatisierte das kontrapunktische Geflecht ohne die Musik deshalb zu romantisieren. Auch Armstrongs eigene Fantasie über B-A-C-H entpuppte sich als die Anwendung von Bachs-Linien und Variationskunst auf ein gemäßigt modernes, impressionistisch-schillerndes Tonmaterial.

Zu einem etwas kuriosen Ergebnis führte Armstrongs filigrane Linienkunst dagegen bei Liszts Fantasie und Fuge über B-A-C-H: Die dröhnenden Oktavengänge und bollerigen Akkordtürme milderte er derart ab, dass man auf weiten Strecken fast einen echten Bach und nicht Liszts Virtuosenschlachtross zu hören meinte. Wer die pianistische Pranke liebt, dürfte hier sanft enttäuscht worden sein.

Den Beweis, dass er bei Bedarf auch die große Geste im Repertoire hat, hob Kit Armstrong sich klug disponierend bis zuletzt für Liszts Transkription von Bachs Präludium und Fuge g-Moll BWV 542 auf. Mit punkgenau dosiertem Aplomb beschloss der Feingeist so ein Programm, in dem musikalische Klugheit und klares Denken zu einem sinnlichen und emotionalen Ereignis wurden.
 


Zen-Meister des Klaviers
in: "Welt am Sonntag", Hamburg-Teil, 05. Januar 2014.

Als Kit Armstrong vor gut zwei Jahren das letzte Mal in der Laeizshalle gastierte, hatte der junge Pianist für sein Publikum eine Reihe echter Repertoirefundstücke parat. Mozarts ebenso kühn-chromatische wie kontrapunktisch-vertrackte „Kleine Gigue“ KV 574 etwa, ein Werkchen, das man im Konzertsaal praktisch nie zu Gehör bekommt. Diese Rarität präsentierte Armstrong in Gesellschaft von Johann Sebastian Bachs „Chromatischer Fantasie und Fuge“, und die Verbindungslinien, die vom barocken Fugenmeister zum Wiener Klassiker führen, wurden schlagartig hör- und nachvollziehbar.

Schaut man sich das Programm an, mit dem Armstrong nun am 11. Januar in die Laeiszhalle kommt, so scheint es, als würde hier einer konzentriert und beharrlich sein persönliches Projekt weiter verfolgen. Denn wieder steht Bach im Zentrum von Armstrongs Programmkomposition; um die Fugen und Choräle des Altmeisters herum hat er diesmal u.a. Liszts Fantasie und Fuge über B-A-C-H sowie seine eigene Fantasie über die vier berühmtesten Tonbuchstaben der Musikgeschichte gruppiert. So spürt man in den Programmen des Pianisten Armstrong den planenden Verstand des Komponisten Armstrong.

„Man sollte doch nicht nur das spielen, was bekannt ist“, bekundet der Jungmeister des tönenden Beziehungszaubers. – Um dann einzuräumen, dass sein jüngster Programmvorschlag mit englischer Renaissancemusik und nordischen Futuristen bei Veranstaltern wenig Anklang gefunden habe. Die Aura des Wunderkindes und die Fürsprache seines Mentors Alfred Brendel haben Armstrong beim Publikum und Musikmanagern viel Kredit verschafft. Man ließ ihm Freiraum und Zeit zu reifen. Doch heute arbeitet auch Kit Armstrong im Takt des Betriebes. Übervoll ist sein Konzertkalender im Frühjahr 2014, und im Mai steht außerdem die Uraufführung seines jüngsten Konzertes an.

Aus der Ruhe bringt sein dicht gepackter Terminplan Armstrong nicht. Das Reiseleben als Konzertpianist gefalle ihm ausgesprochen gut, bekundet er, und arbeiten könne man schließlich auch unterwegs. „Im Zug von Aachen nach Paris habe ich gerade ein neues Stück komponiert.“ Auf die Frage nach dem Schrecken des drohenden Abgabetermins erlaubt der sonst so ernste junge Mann sich sogar einen Anflug von Humor: „Da fragen Sie mich am besten am Tag vorher nochmal.“

Der US-Amerikaner mit taiwanesischen Wurzeln verkörpert perfekt jene untadelige Effizienz, die Asiaten gerne unterstellt wird. Er antwortet leise, in grammatikalisch perfektem, leicht altertümelndem Deutsch, das er sich aus Büchern selbst beigebracht hat. Schon auf die Eingangsfrage, in welcher Sprache er das Interview am liebsten führen wolle, hatte er ganz sachlich genau vier Worte zu Protokoll gegeben: „Das ist mir egal.“ Etwas mehr in Fahrt kommt Armstrong, wenn von musikalischen Details oder pianistischem Handwerk die Rede ist.

So wundert man sich, dass er nun ausgerechnet solche Werke spielt, die Liszt für Orgel geschrieben und später aufs Klavier übertragen hatte. In dem Bemühen, die Klanggewalt der Orgel zu imitieren, machen viele Pianisten dröhnend-athletische Kraftakte aus diesen Stücken. „Lautstärke ist eine Illusion“, behauptet dagegen der Zen-Meister des Klaviers. „Es gibt Gewicht und Lautstärke, das ist eines der Geheimnisse des modernen Klavierspiels.“ Wer den zierlichen Armstrong spielen sieht, ahnt, dass er eben diesen Unterschied nutzt, um selbst Stellen von brachialer Virtuosität durchhörbar und beinahe feinsinnig zu gestalten.

Die Welt des Sinnlichen scheint für den auch in Sachen Mathematik Hochbegabten zuerst eine komplexe Denkaufgabe zu sein. Das gilt selbst für sein Hobby, denn Kit Armstrong ist ein leidenschaftlicher Koch. Seinen Aufenthalt in Paris nutze er, um sich durch die Restaurants zu probieren und Anregungen zu suchen. Und auch hier bewährt sich Armstrongs Zugang zur Welt: „Guter Geschmack ist einfach“, sagt der analytische Gourmet. Nur Süßes wäre sozusagen trivial, denn auch Kochen sei doch schließlich eine Sache des Verstandes.