Ilja Stephan Musikpublizist

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Esa-Pekka Salonen - Kontakte mit der dunklen Seite

In Ihrem Programmtext zu "Insomnia" bezeichnen Sie das Stück als eine Folge von Variationen, nach den im letzten Jahr hier in Hamburg zu hörenden "LA Variations" also erneut ein Variationensatz - spielt die Variation in Ihrem Denken eine so große Rolle? mehr...


Esa-Pekka Salonen - "Musik ist ein biologisches Phänomen"

In "Wing on Wing" arbeiten Sie mit sound samples, die über Lautsprecher zugespielt werden. Wie wird das konkret realisiert, kommt der Klang von zwei Lautsprechern vorne auf der Bühne oder zirkuliert er im Raum? mehr...

Esa-Pekka Salonen - "Ich will, dass Musik Teil der Gesellschaft ist"
in: Welt am Sonntag, 23.11.2008, Hamburg-Teil. 

Instrumentale Virtuosität hat Sie schon immer fasziniert. Warum hat es 28 Jahre gedauert, bis Sie nun Ihr zweites Konzert geschrieben haben?
Esa-Pekka Salonen: In meiner Studienzeit war der Gedanke eines Solokonzertes problematisch geworden. Die Konzerte, die in den 1970- und 80er-Jahren geschrieben worden sind, waren eher "Anti-Konzerte". Die Idee, Virtuosität zur Schau zu stellen, gehörte einfach nicht zur ästhetischen Grammatik der Zeit. Gerade die Vorstellung, ein Klavierkonzert zu schreiben, erschien mir als ausgesprochen schwierig. Die beiden einzigen Klavierkonzerte der Nachkriegsmusik, die es ins Repertoire geschafft haben, sind die Konzerte von Ligeti und Lutoslawski. Wer das Wort "Virtuosenkonzert" hört, denkt an irgendwelche Charakterstücke von Kreisler oder Sarasate. Das Herausforderung für mich war, Virtuosität und musikalische Bedeutsamkeit zu verbinden. Die Zeiten haben sich geändert. Heute ist es wieder leichter, eine solche Synthese zu erreichen. Es gibt nicht mehr diese vielen Tabus, was ein Komponist angeblich nicht schreiben darf. Und das ist gut so - für die Leute, die Musik schreiben und vor allem für die Hörer.

Welches Modell hatten Sie für Ihr Konzert? Die dreisätzige Satzfolge erinnert an die klassische Form aller Konzerte von Bach bis Bartók.
Salonen: Es gibt kein wirkliches Modell für mein Konzert, aber - das klingt jetzt ein wenig verrückt - ich habe viel an Mozart gedacht. Nicht was den Duktus der Musik angeht, aber was Mozarts Art betrifft, das Klavier in Dialog mit dem Orchester treten zu lassen. Statt der Gegenüberstellung von Individuum und Kollektiv betrachte ich das Klavier als eine Art Partner, der im Laufe des Konzerts verschiedene Rollen übernimmt. Es gibt unglaubliche Momente in Mozarts Konzerten, wo das Klavier zum Kammermusikpartner wird und z.B. mit den Holzbläsern zusammenspielt. Vor allem im ersten Satz habe ich mich entschlossen, das Klavier aus dem Orchester heraus- und hereinzoomen zu lassen. Das Klavier durchläuft mehrere Stadien, in denen es mehr oder minder dicht an der musikalischen Oberfläche ist: Es gibt die klassische Gegenüberstellung von Solisten und Orchester; es gibt Momente wo das Klavier zum Kammermusikpartner wird und andere Stellen, wo es ganz in der Textur des Orchesters versinkt und schließlich selbst zum Orchesterinstrument wird.

Die Musik im zweiten Satz Ihres Konzertes beschreiben Sie als "synthetische Volksmusik". Was hat man sich darunter vorzustellen?
Salonen: Der Gedanke einer "synthetischen Volksmusik" beschäftigt mich schon lange. Ich denke dabei an eine Musik, die die Einfachheit und Direktheit echter Volksmusik hat, ohne sich deshalb an einem konkreten ethnologischen Vorbild zu orientieren. So eine Art Metapher für Volksmusik. Wenn man sich die "Überlebensrate" von Musiken anschaut, hat viele Volksmusik bewiesen, dass sie nahezu unzerstörbar ist. Als ich meine Musik fertig hatte, klang sie für mich wie eine Art kybernetischer Balkanmusik. Meine ganz persönliche Assoziation war die Vorstellung von einer existentiellen Krise in einer post-humanen Gesellschaft, in der alle Menschen schon ausgestorben sind - was so in ca. zehn Jahren der Fall sein wird, falls wir so weitermachen. Alles was bleibt, ist eine künstliche Intelligenz, die sich notgedrungen eine eigene kulturelle Vergangenheit erfinden muss, sobald sie sich zu einem bestimmten Grad von Komplexität entwickelt. So ungefähr klingt meine "synthetische Volksmusik".

2009 wechseln Sie von L.A. nach London. Woran hängt ihr Herz am meisten, wenn Sie auf die 16 Jahre als Chef des L.A. Philharmonic zurückblicken?
Salonen: Ich habe in L.A. unglaublich viel gelernt. Das musikalische Leben hier ist im Moment aufgeschlossener und vielfältiger als in den meisten anderen Städten der Welt. Neue Musik ist ein völlig normaler und natürlicher Programmpunkt. Mein größter Erfolg war, dies erreicht zu haben. Die Leute erwarten nicht nur neue Musik, sie lieben diese Herausforderung. Unsere größten Konzerterfolge in jüngster Zeit hatten wir mit zeitgenössischer Musik. Das sollte überall so sein. Zu Brahms' Zeiten war das schließlich auch so. Wir sind heute auf dem Weg zurück zu einem gesunden Musikleben, dessen aufregendste Teil das ist, was im Moment komponiert wird. Nicht der x-te Beethoven-Zyklus vom Dirigenten XY. Vergleichen sie das mit der Rock- und Pop-Musik. Die haben ein Publikum, dass auf den neusten Song von Radiohead und das letzte Stück von Björk wartet. Aber es reift heute auch eine Generation von Komponisten heran, die sich nicht fürchtet, zu kommunizieren, die Teil des Dialoges sein möchte.

Das romantische Bild vom einsamen Künstler-Genie hat sich also endgültig erledigt?
Salonen: Schauen Sie sich Leute wie Beethoven, Bach, Michelangelo oder Shakespeare an. Das waren praktische Leute, die unmittelbar auf ihre Zeit reagiert haben. Vor allem, um ihr täglich Brot zu verdienen. Sie haben zu bestimmten Anlässen und für konkrete Situationen Werke geschaffen. Die hätten sich selbst nie als isolierte Inseln verstanden, sondern als hoch professionelle Spezialisten, die etwas produzieren, das gebraucht wird. Der Geniekult hat einigen Schaden angerichtet, weil die Idee des Komponisten, der für sein Publikum schreibt, verschwunden ist. Ich glaube, die Musikgeschichte verläuft in Zyklen. Es gab Zeiten intensiven Forschens, wie die Epoche der Notre-Dame-Schule, als unglaublich komplexe, mehrsprachige Motetten komponiert wurden. Aber danach ist das Pendel wieder in die andere Richtung ausgeschlagen. Dasselbe geschieht heute mit der europäischen Avantgarde. Das war eine Zeit des Forschens, in der die musikalischen Möglichkeiten dramatisch ausgeweitet wurden. Damals sind fantastische Sachen komponiert worden, die die Zeit überdauern werden. Aber für das musikalische Leben war es eine problematische Epoche, weil die Ergebnisse solcher Forschungen nicht mit der "normalen" Musik in Einklang zu bringen waren. So sind Inseln wie Darmstadt und Donaueschingen entstanden. Heute stehen wir an der Schwelle einer neuen Periode, wo zeitgenössische Musik wieder Teil eines größeren Zusammenhanges ist, der einfach "Musik" heißt.
Hegel
In einem Essay haben Sie beschrieben, wie ihnen in der Sauna sitzend mit einem Glas Whiskey in der Hand Zweifel an Hegels Fortschrittsgeschichtsschreibung gekommen sind. Machen Sie es sich mit intellektuellen Problemen nicht ein bisschen einfach?
Salonen: Ein leicht angetrunkener Esa-Pekka Salonen in der Sauna wird Hegel schon nicht erledigen. Was ist denn ein Intellektueller? Jemand der Bücher liest und ins Theater geht? Ich bin jedenfalls nicht interessiert an Intellektualismen, die sich vom übrigen kulturellen Leben absondern, die jenseits der tagesaktuellen Debatten sind. Ich will, dass Musik Teil der Gesellschaft ist, und vor allem, dass die Art von Musik, die ich schreibe, Teil der Gesellschaft ist. Was ich absolut nicht ertragen kann, sind Menschen, die sich selbst zu ernst nehmen. Musik muss ernst genommen werden, die Kultur muss man ernst nehmen. Aber das Leben und besonders die eigene Person sollte man nicht allzu ernst nehmen. Es muss Raum bleiben für Ironie und Gelächter, ohne die wäre das Leben unerträglich.

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