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Felix Kubin - Bloß nicht pragmatisch werden
Der Pop-Avantgardist Felix Kubin
in: Welt am Sonntag, 4. März 2012, Hamburg-Teil

Ist der Mensch wirklich gut aufgehoben in einer total verwalteten, technisierten Welt? Nein, würde der Hamburger Pop-Avantgardist Felix Kubin sagen. Und wie zum Beweis erscheint er zum vereinbarten Interviewtermin zu spät, abgehetzt und offenbar erbost. Den Kleinkrieg mit dem Fahrkarten-Automaten hat er verloren, die Diskussion mit den Kontrolleuren über HVV-Tarifzonen-Dschungel und Geltungsbereiche auch. „Wenn ich das schon nicht verstehe, wie soll das erst einem japanischen Touristen gehen“, so schimpft der bekennende Surrealist über die Tücken des Alltags.

Dabei hat Kubin ein fast mystisches Verhältnis zur Technik. Einen „Verbündeten der Magie“ nennt er die Technologie und leitet deren Wunder von den Allmachtsfantasien des Okkultismus her. „Ein Fernseher ist nichts weiter als ein Zauberspiegel, durch den man in andere Zeiten und Welten guckt.“ Diese heute verschüttete Magie wieder erfahrbar zu machen, ist Teil von Kubins künstlerischem Programm. Am Donnerstag, den 22.03.2012, wird der Medienkünstler im Rahmen der Hightech-Konzert-Reihe ePhil im Körber-Forum, U-Bahn-Haltestelle Baumwall, Tarifzone 108, zu Gast sein.

„Man muss Disharmonie ertragen können“, so lautet Kubins Motto. „Widersprüche sind das Interessante im Leben.“ Dieser Devise getreu bilden Krawatte und Hemd bei ihm einen so kunstvollen arrangierten Misston aus Orange und Grün, dass man als Gegenüber von dem irritierenden Anblick fast zwanghaft angezogen wird. Schon im Pseudonym des Gesamtkunstwerkes Felix Kubin steckt dieses Bekenntnis zur Dissonanz. Felix, „der Glückliche“, nannten ihn seine Eltern; für den selbst gewählten Nachnamen stand dagegen Alfred Kubin Pate, der Schöpfer tief verstörender Grafiken mit Motiven aus den Abgründen des Seelenlebens.

Obwohl alles an der Kunstfigur Felix Kubin durchstilisiert zu sein scheint, wirkt er beim Fototermin doch auf sympathische Art befangen und steif, so gar nicht wie ein Selbstdarstellungsprofi. Oder ist auch das Teil seines Dandytums? Das Spiel mit Verwirrung und Realitätsverschiebungen ist jedenfalls Kubins Passion. So war der in Hamburg geborene, lupenreine Bundesdeutsche nach der Wiedervereinigung mal Mitglied der Künstlergruppe „Liedertafel Margot Honecker“. Mit FDJ-Liedern und getürkter Ostalgie setzte die damals einen schrägen Kontrapunkt zur allgemeinen Einheitseuphorie.

Neben sozialistischer Propagandamusik pflegt der Gründer eines „Syndikats für Gegenlärm“ aber auch das Genre der Geräuschkollage und eine verschrobene Form des Pop. Der Allrounder Kubin schreibt Lieder, Texte, Hörspiele, Schauspielmusiken und Radio-Features. „Ich finde es interessant, wie ein Virus in fremden Zusammenhängen herumzuschwirren“, sagt der Kunst-Guerilla. Der Wechsel zwischen den verschiedensten Erfahrungs- und Tätigkeitsfeldern ist geradezu Kubins Arbeitsprinzip: „Ich glaube sehr fest an die gesundende Wirkung eines gewissen Dilettantismus.“

Den naheliegenden Einwand, dass universeller Dilettantismus auf Kosten künstlerischer Qualität gehe, kontert er locker: „Mir geht es auch um Qualität. Qualität haben Sachen, in denen Elemente auftauchen, die man noch nicht deuten und lokalisieren kann.“ Und die ergäben sich am ehesten, wenn man statt Verfeinerung hochzuzüchten, ab und an zurückkehre zu einer gewissen Form von Rohheit und Naivität. „Man kann das Magische in einem Bereich dann am besten sehen, wenn man noch nicht zu viele Fertigkeiten in diesem Bereich entwickelt hat.“

So offenbart sich in Kubins schrägem Dandytum bei näherem Hinsehen schnell das Pathos des echten Künstlers. „Besessenheit und Leidenschaft“ fordert der Multimedia-Alchemist von sich und anderen. Und für seinen Schaffensdrang findet Felix Kubin ein düsteres Bild, das auch eines Alfred Kubin würdig gewesen wäre: „Die Ideen sitzen wie schwarze Raben auf meiner Schulter und hacken auf mir herum.“

Durch eine Welt, die im Inneren bestimmt ist von Verwertungszusammenhängen und Geschäftssinn und nach außen eine perfekte Fassade aus Hochglanz- und Metallic-Oberflächen zur Schau trägt, wandelt Kubin als lebender Gegenentwurf. „Ich bin ein großer Perfektionist“, sagt der Elektro-Romantiker, „aber mich interessiert nicht der Perfektionismus der Reinheit.“ Seine größte Angst ist es, „in der pragmatischen Welt zu versinken“; „Positivismus“ und „Bodenhaftung“ sind für Kubin Hassworte. Und doch kommt auch ein Künstler nicht umhin, sich mit Verträgen, Urheberrecht und ähnlich praktischen Niederungen auseinanderzusetzen. So hat Kubin sogar ein eigenes Label für Produktion und Vertrieb seiner und der Musik befreundeter Künstler gegründet. Doch selbst dieses Projekt trägt unverkennbar die Züge seines persönlichen Kreuzzuges gegen die Schwerkraft: Gagarin Records hat Kubin in Erinnerung an den ersten sowjetischen Kosmonauten sein Label genannt.

Zu Kubins Selbststilisierung gehört auch sein offenkundiger Fimmel für den Osten. Er selbst führt diese Neigung auf den subtilen Surrealismus einer frühkindlichen Prägung zurück: „Ausgerechnet auf dem Fernseher meiner Großmutter in Harburg, die eine ausgesprochene Anti-Kommunistin war, konnte man damals DDR-Fernsehen gucken.“ Dort ergötzte sich der kleine Felix dann weniger an Politik als an der Fremdheit der „anderen Sprache, der anderen Art der Terminologie und Kommunikation“. Gerade die Melancholie polnischer Filme habe ihn sehr angesprochen. Heute schätze er an seinen osteuropäischen Freunden deren „großzügiges Verhältnis zur Zeit“ und die in Jahrzehnten perfektionierte Kunst, mit Unsicherheit und Provisorien zu leben. Beim Stichwort „Finanzkrise“ würden die nur lachen: „Welche Krise meinst Du? Die, die wir seit 30 Jahren haben?“