Ilja Stephan Musikpublizist

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Joshua Bell - Ein Kraftwerk aus Ensemble und Solisten
in: Hamburger Abendblatt, 19.01.2015

Musik ist eine Form von Energie, die man hören kann. Wie zwischen den Elementen einer Batterie baut sich diese Spannung zwischen den Teilen eines Ensembles auf, fließt zwischen den Polen, bis sie sich schließlich funkensprühend entlädt. Wer am Freitag Joshua Bell, Antoine Tamestit und die Academy of St Martin in the Fields mit Mozarts „Sinfonia concertante“ KV 364 hörte, wurde Zeuge eines solchen Feuerwerks purer Spielfreude.

„Joshua Bell: Violine und Leitung“, so stand auf es dem Programmheft. Und in der Tat „leitete“ der amerikanische Geiger die Musik. Allerdings weniger durch Taktschlagen, die Academy kommt souverän ohne Dirigenten aus, sondern in der Art eines lebenden Stromabnehmers. Mal wandte er sich seinem Ensemble zu, als wolle er aus dem Kollektiv Energie fürs nächste Solo tanken, mal speiste er mit kräftigen Strichen selber Spannung ins System ein. Auf der anderen Seite des Orchesters, bei den tiefen Streichern, tat sein Ko-Leiter, Antoine Tamestit an der Bratsche, es Bell gleich. Zwischendrin trafen beide sich in der Mitte des Podiums, um befeuert vom Orchester ihre Soli auszutauschen. So spielten Solisten-Duo und Ensemble sich in jenen beglückenden Rauschzustand, den die Jazzer „flow“ nennen. Der Applaus war frenetisch.

Lieder funktionierte das Kraftwerk aus Ensemble und Leiter nicht bei allen Stücken gleichermaßen gut. Auch bei Mozarts düsterer Symphonie g-Moll KV 550 spielten Bell und die Academy mit Hochspannung. Im irrwitzigen Tempo jagte der Virtuose, nun vom Platz des Konzertmeisters aus, sein Ensemble durch die vier Sätze. Bravourös meisterte die Academy dabei selbst in diesem Tempo alle artikulatorischen Feinheiten. Doch ging die existentielle Dimension von Mozarts Musik nahezu verloren; keinem der jähen Einbrüche von Lautstärke und Chromatik blieb so noch die Zeit, nachzuhallen und zu wirken.

Auch über Bells Lesart von Bachs Violinkonzert a-Moll BWV 1041 dürften die Meinungen auseinander gehen. Unstrittig ist, dass Bell ein herausragender, technisch makelloser Geiger ist. Strittig ist dagegen, wie viel gefühlsverstärkende Zusatzstoffe eine Bach-Interpretation verträgt. So spielte Bell etwa bei den langen Haltetönen im zweiten Satz ebenso lang gezogene Crescendi und kostete diese Momente aus wie eine Operndiva das „Messa di Voce“. Manche mögen das, andere nicht.

Einigkeit dürfte im Publikum allerdings in einem Punkt geherrscht haben: Gerne hätte man noch eine Zugabe gehört. Eines jener geigerischen Kabinettstückchen etwa, wie die Variationen über den „Yankee Doodle“, in denen Bells stupende Technik ebenso zur Geltung kommen wie sein Showtalent. Doch leider hasteten Bell und seine Academy mit derselben Eile, mit der sie zuvor durch Mozarts Symphonie geprescht waren, nach dem letzten offiziellen Programmpunkt direkt ins Hotel. Schade.