Ilja Stephan Musikpublizist

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Salam Syria - Festival in der Elbphilharmonie
in: Neue Osnabrücker Zeitung, 19.03.2017

Hamburg – Das Erstaunlichste an der neuen Elbphilharmonie ist weder ihre Architektur noch ihre Akustik, sondern die Fokussierung der Aufmerksamkeit, die dieser Bau bewirkt. Weltmusik fand in der Hansestadt bislang eher im Abseits statt. Beim Festival „Salām Syria“, das Michael Dreyer, der Begründer des Morgenland Festivals Osnabrück, kuratierte, hatte das Hamburger Konzertpublikum nun drei Tage lang die Gelegenheit, die Musik Syriens kennen zu lernen. Vom 16. bis 18. März waren die Säle des neuen Konzerthauses voll von Besuchern, denen der Sinn nach einer Osterweiterung ihres musikalischen Bewusstseins stand.

Einen Überblick über die traditionelle Musikkultur Syriens gab am Abschlusstag ein Konzert mit dem Sänger Ibrahim Keivo und einem Trio um den Flötisten Moslem Rahal im Kleinen Saal. Rahal, der Kanun-Spieler Feras Charestan und der Darbuka-Trommler Firas Hassan führten ihr Publikum zunächst eine Stunde lang durch traditionelle arabische Maqams und nicht ganz so traditionelle Eigenkompositionen. Aufmerksame Zuhörer und gesitteter Applaus waren ihr Lohn.

Ibrahim Keivo dagegen ist so etwas wie die musikalische Verkörperung des Vielvölkerstaats Syrien. Mit ihrer Präsenz sprengt diese One-man-show jeden Saal. Nach einem freundlichen „Guten Abend“ auf Deutsch begrüßte Keivo seine Landsleute auf Kurdisch, auf Arabisch, auf Armenisch, Assyrisch und Aramäisch und aus verschiedenen Ecken des Saals schallte ihm jeweils lauter Jubel entgegen. Wer als deutscher Nachrichtengucker bislang von „den Syrern“ zu reden gewohnt war, hatte hier gleich seine erste Lektion gelernt.

Offenbar weiß man gar nichts von anderen Menschen, bis man nicht ein klein wenig ihre Freude und ihre Traurigkeit geteilt hat. Ibrahim Keivo bringt genau das zuwege. Jede der Volksgruppen war an diesem Abend mit einiger ihrer Lieder vertreten: Liebeslieder, Heldenlieder, Tänze, Religiöses. Auf einmal wurde mitgeklatscht, mitgesungen, ein Beduinenlied wurde aus der Ecke hinten rechts mit einem Zungentriller sekundiert. Und auch wem die Worte gar nichts sagten, der konnte doch jede Regung an der Stimme und der Mimik des begnadeten Mimen Ibrahim Keivo ablesen.

In eine globalisierte Welt führte das letzte Konzert des Festivals im Großen Saal. Der Klarinettist Kinan Azmeh hat an der Kaderschmiede der klassischen Musik, der Juilliard School in New York, studiert. Seit 16 Jahren ist er New Yorker mit syrischen Wurzeln. Und er umgibt sich mit ähnlich internationalen, exzellenten Musikern: Der in Damaskus geborenen, in Chicago lebenden Sängerin Dima Orsho, dem Viola d’Amore streichenden Tunesier Jasser Haj Yousseff, dem Jazz- und Pop-erfahrenen armenischen Duduk-Spieler Jivan Gasparyan, dem mit Bach-Chorälen und arabischer Musik vertrauten Akkordeonisten Manfred Leuchter und einem französischen Alleskönner für Bassinstrumente: Michel Godard.

Die zumeist melancholische Musik dieses perfekt eingespielten Sextetts hat sich ein orientalisches Flair bewahrt, flottiert aber frei zwischen den musikalischen Welten, die die sechs Musiker einbringen. Im Zusammenspiel funktionieren sie wie ein gutes Jazz-Ensemble, bei dem jeder weiß, wann er wie viel zum Gelingen des Ganzen beitragen muss. Das hanseatische Publikum lauschte gebannt diesen Klängen aus dem melting pot – nur als es ans Mitsingen ging, siegte die sprichwörtliche Zurückhaltung. Da erhob sich im Parkett noch einmal Ibrahim Keivo und half den Hanseaten mit einer letzten Kostprobe seiner raumsprengenden Vitalität auch über diese Hemmschwelle.