Ilja Stephan Musikpublizist

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Andrey Boryko - "War Handel hier nicht immer wichtiger als Musik?"
erschienen in: Die Welt, Hamburg-Teil, 9. Juni 2008

Andrey Boryko kam vor vier Jahren als Chefdirigent zu den Hamburger Symphonikern, die unter seiner Leitung deutlich an Niveau und Profil gewannen. Nun wechselt der erfolgreiche Künstler nach Düsseldorf, wird dort Chef der Symphoniker.

Die Hamburger Symphoniker unter Ihrer Leitung haben eine rasante Entwicklung vollzogen. Das war ein "winning team", warum haben Sie Ihren Vertrag nicht verlängert?
Andrey Boreyko: Die vier Jahre in Hamburg waren für das Orchester und für mich eine sehr gute Zeit, aber es ist eine normale Entwicklung, dass eine von auf Zeit angelegte Zusammenarbeit auch wieder endet. Darüber hinaus gab es auch andere Gründe: Ich wollte immer Oper dirigieren, und das war in Hamburg nicht möglich. Ich habe mir gewünscht, mit einem größeren Orchester als Chefdirigent zu arbeiten. Ein Orchester mit 75 Musikern bietet mir bei der Programmierung nicht mehr die Freiheit, die ich haben möchte. Außerdem ist es mir wichtig, große multimediale Projekte zu machen, denn ich glaube, darin liegt die Zukunft der klassischen Musik in Konzertform. In der Elbphilharmonie wird sicher sehr viel möglich sein, aber noch drei oder vier weitere Jahre auf die Elbphilharmonie warten, das wollte ich nicht. Schließlich hatte ich gehofft, das Orchester während meiner Zeit personell vergrößern zu können. Auf dem Weg zum A-Orchester sind wir jetzt sehr viel weiter als vor vier Jahren, aber die Pläne sind heute noch nicht umgesetzt.

Vor zwei Jahren haben Sie gesagt: "Es gibt viel mehr Ideen als finanzielle Möglichkeiten." Was hätten Sie gerne realisiert, wenn Geld zur Verfügung gestanden hätte?
Boreyko: Ich hätte sehr gerne ein umfangreiches Projekt mit Pantomime und Puppentheater in die Laeiszhalle gebracht, ungewöhnliche konzertante Opern präsentiert, regelmäßig Kompositionsaufträge vergeben und noch sehr viel mehr mit neuen Konzertformaten experimentiert.

In Hamburg gibt es den Anspruch, binnen 10 Jahren zu einer internationalen Musikmetropole aufzusteigen. Was zieht Sie da ausgerechnet nach Düsseldorf?
Boreyko: Die Aufgabe in Düsseldorf reizt mich sehr, weil die Düsseldorfer Symphoniker ein sehr traditionsreiches, großes, finanziell stabiles und gutes Orchester sind, weil die frisch renovierte Tonhalle ein schöner Saal ist und weil dort jedes Programm drei Mal vor fast immer voller Tonhalle wiederholt wird. In Hamburg tut sich viel, aber Musik wird nach wie vor auch woanders sehr erfolgreich gemacht! Die Pläne, zur Musikmetropole aufzusteigen, sind sehr ambitioniert, aber es reicht nicht, eine Elbphilharmonie bauen zu lassen und darüber stolz zu sein. Musik will gebraucht werden. Wenn es in dieser 1,8-Millionen-Stadt nicht genügend Menschen gibt, um z.B. bei einem Klavierabend von Ivo Pogorelich den Saal zu füllen, dann bedeutet das leider ein allgemein geringes Interesse an klassischer Musik. Es kann sein, dass diese Situation auch mit der Geschichte der Hansestadt zusammenhängt; war Handel hier nicht immer wichtiger als Musik?

Die Hamburger Symphoniker kämpfen seit Jahren um den Status eines A-Orchesters. Wären Sie geblieben, wenn es eine Heraufstufung zum A-Orchester gegeben hätte?
Boreyko: Dieses Thema hätte bei meinen Überlegungen sicher eine wichtige Rolle gespielt. Es ist für das Orchester und für die Stadt sehr wichtig, dass die versprochene Vergrößerung der Planstellenzahl bei den Symphonikern endlich und endgültig beschlossen wird, und dass die Arbeitsbedingungen des Orchesters zumindest normalisiert werden. Es ist Zeit, dass aus den Plänen jetzt konkrete Realität wird.

Was würden Sie der werdenden Musikstadt Hamburg zum Abschied wünschen?
Boreyko: Ich verabschiede mich nicht von Hamburg. In den letzten Jahren haben wir mit meiner kleinen Familie hier ein eigenes kleines Nest gebaut. Der Musikstadt Hamburg wünsche ich die Realisation der sehr ambitionierten Pläne. Ich will dazu nur sagen: Denken Sie bitte nicht, dass es "jemand für uns tun" soll. Nein, die Hamburger selbst müssen es für sich schaffen, mit viel Geduld, viel Mühe und viel Liebe. Denn unsere Musik ist für die Seele, was Wasser für den Körper ist: Ohne, geht es nur sehr kurze Zeit weiter, aber mit - lebt man lang.