Ilja Stephan Musikpublizist

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Es ist ein weiter Weg zur Musikstadt
erschienen in: Welt am Sonntag, Hamburg-Teil, 23.9.2007

Mit der neuen Elbphilharmonie will Hamburg endlich im Konzert der großen europäischen Musikmetropolen mitspielen. Es dürfte aber schwierig werden, das erstklassige Angebot von Städten wie München oder Berlin zu erreichen

Hamburg wird europäische Musikmetropole", so lautet das Ziel, das der Senat in seinem Leitprojekt "Kulturmetropole Hamburg" prägnant formuliert hat. Was aber eine Metropole der klassischen Musik ausmacht, und wo Hamburg im Vergleich tatsächlich steht, hat man dabei nur selten gefragt. Generalintendant Christoph Lieben-Seutter, auf dem nun die meisten Hoffnungen ruhen, entfuhr so im "Hamburger Abendblatt" jüngst der Stoßseufzer: "Man erwartet hier den Messias." Grund genug, hochgespannte Heilserwartungen durch eine Bestandsaufnahme und einen Blick über den norddeutschen Tellerrand zu ersetzten.

Für den international tätigen Konzertunternehmer Peter Schwenkow etwa steht Hamburg heute aufgrund seiner begrenzten Saalkapazitäten als Konzertstadt im nationalen Vergleich hinter Berlin, Köln und München nur in der zweiten Reihe. Mit der Elbphilharmonie werden sich die Kapazitäten mehr als verdoppeln und die Stadt erhält ein architektonisches Juwel. Aus der Hamburger Innenperspektive gesehen, ist das ein echter Quantensprung. Im weiteren Umfeld betrachtet aber springt Hamburg hier lediglich auf einen fahrenden Zug auf.

 Rund um den Globus, von Peking über Los Angeles bis Luxemburg, sind in den letzten Jahren spektakuläre Neubauten entstanden. München beschließt in diesen Tagen, ob man sich einen dritten Konzertsaal im historischen Marstall leisten will. Duisburg hat seine neue Mercatorhalle gerade eröffnet; Bochum hat sich entschieden, seine Symphonie zu bauen. Und auch in Bonn denkt man darüber nach, durch den Neubau eines Festspielhauses in die Reihe der europäischen Musikstädte aufzusteigen.

Zur Grundausstattung einer Musikstadt zählen neben den Saalkapazitäten die heimischen Orchester und Ensembles, die diese Säle zum größten Teil bespielen. Mit der Bemerkung, Hamburg habe "kein 1a-Orchester", hat Lieben-Seutter hier viel Staub aufgewirbelt. Dabei hat er nur festgestellt, was jeder Beobachter der Szene denkt und auch offen sagt, wenn er auf die hiesigen Empfindlichkeiten keine übertriebene Rücksicht nehmen muss. "Hamburg hat kein international konkurrenzfähiges Orchester", gab etwa der ehemalige Laeiszhallen-Geschäftsführer und heutige Intendant des Dortmunder Konzerthauses, Benedikt Stampa, in einer Podiumsdiskussion jüngst zu Protokoll.

Wie schnell der Puls einer musikalischen Weltstadt schlägt, kann man erfahren, wenn man sich die Londoner Orchesterszene anschaut: Royal Philharmonic Orchestra, Philharmonia, London Symphony Orchestra, London Philharmonic, BBC Symphony Orchestra nennt die Stadt ihr eigen. Hinzu kommen Spezialensembles für alte Musik wie die Academy of St. Martin in the Fields oder Neutöner wie die London Sinfonietta. Eine ähnliche Zahl von Spitzenensembles findet sich "auf dem Kontinent" wohl nur noch in Berlin. Eine Weltstadt, das ist aus der Sicht des Konzertgängers ein Ort, an dem man immer etwas verpasst.

Aber es geht auch ohne Hauptstadt-Hektik. München etwa hält sich zugute, gemessen an der Einwohnerzahl eine höhere Ensembledichte zu haben als jede andere Stadt. Die Trias von Münchener Philharmonikern, Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks und dem Bayerischen Staatsorchester sowie das Dirigententriumvirat aus Christian Thielemann, Mariss Jansons und Kent Nagano sind dabei das größte Pfund, mit dem die Konzertstadt München wuchern kann. Gut organisiert und was das Stadtmarketing betrifft auf der Höhe der Zeit haben sich die drei Klangkörper und das Tourismusamt der Stadt in der Initiative "Musikmetropole München" zusammengeschlossen.

Doch auch ein Blick auf die kleineren Ensemble gibt Aufschluss über das musikalische Klima einer Stadt. Biologen messen die Stabilität eines Ökosystems schließlich auch an den Überlebenschancen der bedrohtesten Arten. Was die mit viel Idealismus unterhaltenen Spezialensembles für neue Musik angeht, bietet sich nach einer Studie des Hamburger Instituts für kulturelle Innovationsforschung folgendes Bild: In Berlin gedeihen in dieser Nische 27 Ensembles, in Köln 16, in Stuttgart elf und im kleinen aber regen Freiburg neun. Hamburg bringt es dagegen nur auf vier von der Studie erfasste Ensembles. - Eine Studie zum Thema historischer Aufführungspraxis gibt es nicht, aber auch die alte Musik spielt tendenziell eher in Köln oder Freiburg.

 Berlin, das nach den Worten seines Bürgermeisters "arm, aber sexy" ist, und Köln rühmen sich zudem einer regen freien Szene. Die gibt es in Hamburg auch, doch gilt für sie, was die Kampnagel- und Triennale-Doppelintendantin Amelie Deuflhard im April dem Magazin für Kulturmanagement sagte: "In Hamburg ist so wenig Geld für Kultur da, dass man das Gefühl haben kann, dass die frei produzierenden Künstler nicht mehr als einem Hobby nachgehen." - Die zu recht hoch gelobten Stiftungen der Stadt hat sie dabei schon mit eingerechnet.

Festivals nutzen die meisten Städte, um ihre Stärken zu unterstreichen und ihren besonderen Ruf zu festigen: München als Musiktheater-Stadt ist auf dem Festivalkalender mit den Opernfestspielen und der Biennale für neues Musiktheater präsent. Köln gedenkt seines Rufes als "Hauptstadt der neuen Musik" mit einer Triennale, bei der Zeitgenössisches und Jazz eine aparte Mischung eingehen. Leipzig hat den beiden großen Komponisten der Stadt je ein eigenes Festival gewidmet: Das "Internationale Bachfest" im Frühjahr und als "herbstliches Pendant" dazu die "Mendelssohn Festtage". Hamburg kommt bis dato auf der Karte überregional wahrgenommener Festspiele nur als Spielort des SHMF vor.

Als Theater- oder Konzertstadt im Rock und Pop-Bereich steht Hamburg unbestritten in der ersten Reihe. Es gibt keinen Grund, warum es nicht auch im Klassik-Bereich auf die Höhe seiner Möglichkeiten kommen sollte - außer einem allzu großen Missverhältnis zwischen schönen Worten, hochgespannten Erwartungen und den tatsächlich aufgebrachten Mitteln.