Musikalischer Außenposten
erschienen in: Welt am Sonntag - Hamburg-Teil, 1.8.2007
Sommerzeit ist Festspielzeit. Von Salzburg über Bayreuth, Luzern, Berlin, den Rheingau bis Eutin oder Hitzacker werben von Juli bis Anfang September landauf landab Städte und Regionen um die Gunst des Publikums und die Beachtung der Feuilletons. In Hamburg ist der Musiksommer die Domäne des Schleswig-Holstein Musik Festivals, das sich in diesem Jahr unter dem Titel "Spielraum Hamburg" in der Hansestadt so stark engagiert wie nie zuvor.
Insgesamt 21 Konzerte an 14 für ein Klassikfestival so illustren Spielstätten wie dem Club "Übel & Gefährlich", dem Terminal 1 des Flughafens, den Kammerspielen, dem Schuppen 52 oder der Norddeutschen Affinerie stehen auf dem Programm von Deutschlands zweitgrößtem Festival. Dank der Unterstützung potenter Sponsoren für eine groß angelegte Plakataktion ist das Schleswig-Holstein Musik Festival dabei auf den Litfasssäulen und in den U-Bahnschächten der Hansestadt massiv präsent. Kein Wunder also, dass SHMF-Chef Rolf Beck schon jetzt von einem vollen Erfolg reden kann, bevor sein Festival am 14. Juli offiziell beginnt: "Es ist uns in diesem Jahr wirklich gelungen, bewusst zu machen, dass Hamburg ein Teil des Programms des SHMF ist."
Und auch in der Hamburger Kulturbehörde freut man sich über Musikereignisse von Rang, die den schmalen Kulturetat mit keinem Cent belasteten. Die Kultursenatorin Karin von Welck erklärt: "Die 21 Konzerte des SHMF im ,Spielraum Hamburg' sind eine große Bereicherung für unsere Stadt." Generalintendant Christoph Lieben-Seutter sieht dies ebenso: "Ich freue mich über jedes hochkarätige Konzert in Hamburg. Dank SHMF gibt es in der Stadt auch in den Sommermonaten ein Konzertprogramm auf internationalem Niveau."
Warum sollte man die Schleswig-Holsteiner auch fürchten, wenn sie Geschenke bringen? Allerdings hat das Engagement des SHMF trotzdem seinen Preis, denn es ist verbunden mit dem erklärten Verzicht der aufstrebenden Musikmetropole auf ein eigenes Musikfest am wichtigsten Festivaltermin des Jahres. Auf die Frage, ob Hamburg nicht ein eigenes Festival brauche, antwortet Hamburgs Kultursenatorin: "Das wird Hamburg bestimmt bekommen. Nur eben nicht in der Sommerzeit. Warum nicht im Frühjahr, im Mai z.B.?"
Was Christoph Lieben-Seutter vor die Schwierigkeit stellt, eigene Festivalpläne allenfalls in der laufenden Opern- und Konzertsaison verwirklichen zu können. Auf die Frage, wie er an "Ausweichterminen" etwas Herausragendes etablieren will orakelt der Generalintendant: "In der Sommerpause werden wir unsere Säle vermieten und da ist das SHMF mit einem hochkarätigen Programm doch die perfekte Ergänzung und mir wesentlich lieber als z.B. eine Ensuite-Bespielung mit ,Stomp' oder ähnlichen austauschbaren Produktionen." Was nicht wirklich eine Antwort auf die Frage nach dem eigenen Gestaltungswillen ist. - Aber, in der Tat, welcher Verwalter freut sich nicht über seriöse und solvente Mieter?
Eine ebenso bezeichnende wie zutreffende Antwort auf die Frage, ob eine Musikmetropole es sich eigentlich leisten kann, unter dem Namen und dem Logo des ländlichen Nachbarn zu firmieren, gibt dagegen der Realist Rolf Beck: "Da müssen Sie mit Ihren Kollegen erst mal klären, ob Hamburg eine Musikmetropole ist." Irgendeine Form von Konkurrenz um die Lufthoheit in der klassischen Festivalzeit sieht Beck jedenfalls nicht: "Ich möchte wissen, mit wem ein Konflikt kommen soll. Im Sommer ist es seit eh und je so: Die Oper und das Theater haben zu. Die Elbphilharmonie wird eine gewisse Pause brauchen. Es ist ja kein Konflikt da, wenn man ihn nicht konstruieren will."
Bei der Vorstellung des "Spielraum Hamburg" hatte Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Peter Harry Carstensen launig gewitzelt: "Wenn ich Schleswig-Holstein auf der Landkarte zeige, deckt mein Daumen Hamburg gleich mit ab." Beengt fühlt man sich unter dem Carstensenschen Daumen in der Hansestadt aber nicht: "Über die Beziehung zwischen Hamburg und Schleswig-Holstein kann ich nichts sagen, erklärt der Hoffnungsträger des Hamburger Musiklebens, Christoph Lieben-Seutter. "Als Außenstehender ist es mir aber völlig egal, welcher Veranstalter hinter welchem Programm steht - es geht doch letzten Endes nur darum, dass möglichst viele außergewöhnliche künstlerische Ereignisse vor möglichst vollen Sälen stattfinden."
Dass Hamburg ein eigenes, herausragendes Musikfestival braucht, wird trotzdem von allen Seiten betont. Nicht nur das Wort vom "Alleinstellungsmerkmal" ist immer wieder in aller Munde, sondern Karin von Welck erklärt mit Blick auf die hanseatische Festivalwüste: "Im Grunde ist es erstaunlich, dass eine Metropole wie Hamburg so lange kein wirklich überregional wahrgenommenes Festival hatte." Und auch wenn alle Beteiligten das Wort "Konkurrenz" ängstlich meiden, stellt die Senatorin klar, dass Hamburgs Generalintendant sich behaupten soll: "Ich bin sicher, Christoph Lieben-Seutter wird seine Aufgabe hervorragend meistern und Hamburg - wenn man so will - musikalisch wachsen lassen. Wir haben Platz dafür. Wie sind schließlich eine Metropole."
An diesem Punkt rächt es sich allerdings, dass man in Hamburg bislang der Meinung war, eine Musikmetropole nur aus Sponsoren- und Stiftungsmitteln finanzieren zu können. Der Einzige, der gegenwärtig tatsächlich über die Mittel und die Macht gebietet, groß angelegte Projekte zu realisieren, ist NDR-Klangkörperchef und SHMF-Intendant Rolf Beck. Der aber hat ganz andere Pläne: "Für mich gibt es eine Vision, dass im Sommer im Norden nur ein Festival stattfindet." Und auch über diese Position denkt er schon hinaus: "Der Kulturraum Baltikum ist für die Zukunft das Interessante."
So weit ist es zwar noch nicht, aber Rolf Beck ist gewiss kein Träumer. Tatsache ist, dass sein Schleswig-Holstein Festival mitten im Herzen der wachsenden Stadt, in der Hafencity, den "Spielraum Hamburg" gerade sehr erfolgreich mit einem Ableger des "Musikfestes auf dem Lande" eröffnet hat. Spötter argwöhnen nun, dass man in Hamburg bald planen könnte, links und rechts der stolzen Hammaburg noch zwei schwarzbunte Holsteiner Rinder ins Stadtwappen aufzunehmen.