Ilja Stephan Musikpublizist

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Mit der Elbphilharmonie auf dem Weg zur Musikmetropole?
erschienen in: concerti - Das Hamburger Klassikmagazin, November 2006

Wer sich fragt, was Hamburg tun muss, um in den Rang einer Musikmetropole aufzusteigen, sollte sich auch einmal fragen, warum eine Stadt von der Größe und Wirtschaftskraft Hamburgs bisher keine solche war. Eine Metropole, das ist ein Ort, an dem sich in hoher Dichte Personen und Institutionen versammeln, die auf ihrem Gebiet Maßstäbe setzen. Die Metropole ist das Feld, auf dem der Wettstreit um die attraktivsten und zukunftsweisenden Konzepte ausgetragen wird; im Idealfall nicht, um den anderen vollends zu verdrängen oder gar in seiner Existenz infrage zu stellen, sondern schlicht, um sich mit einem eigenen ausgeprägten Profil zu behaupten. Schaut man auf die Gebiete, auf denen Hamburg heute einen Spitzenrang einnimmt, zeigt sich eben dieses Bild: Das Zweigestirn Schauspielhaus und Thalia, die Vielfalt von über 30 weiteren großen und kleinen Bühnen und eine rege freie Szene machen den Reiz der Hamburger Theaterlandschaft aus. Auch was die Kirchenmusik angeht ist Hamburg tatsächlich eine Metropole, weil an den großen Kirchen unabhängig voneinander (aber nicht gegeneinander) starke, unverwechselbare Akzente gesetzt werden. Hamburg ist eine Pop-Musik-Metropole und die "Hamburger Schule" war ein Begriff, u.a. weil mehrere Majors und nicht weniger als 130 Independent-Label hier davon lebten, ihr Ohr am Puls der Zeit zu haben.

Eine Metropole der klassischen Musik ist Hamburg nicht. Der private Konzertmarkt wird seit Jahrzehnten von ein und demselben Veranstalter beherrscht, dem zugleich die meisten der Hamburger Konzertkassen und das lange Zeit einzige Musik-Anzeigenblatt gehören. Der ehemalige Chef der Musikhalle, Benedikt Stampa, hatte hier mit eigenen Konzertreihen und alternativen Vertriebsmethoden für ein wenig Wirbel gesorgt - ist dann aber resigniert nach Dortmund abgewandert. Und im Bereich der drei großen Orchester gilt eine schon lange nicht mehr hinterfragte Rangliste als Status quo. Am unteren Ende dieser Rangliste hat der relaunch der Hamburger Symphoniker mit einem charismatischen Dirigenten und mutigen Programmen zuletzt immerhin für einige Bewegung gesorgt. Für das obere Ende der Rangliste hat der künftige Generalintendant Christoph Lieben-Seutter einen Blick über den norddeutschen Tellerrand gewagt, als er daran erinnerte, dass das NDR Sinfonieorchester eben nicht in derselben Liga spiele wie die Philharmoniker der Musikmetropolen Wien, Berlin oder New York. Doch ist der NDR im hiesigen Musikleben zumeist das Maß der Dinge, denn er ist nicht nur der größte Veranstalter im E-Musik-Bereich, sondern entscheidet als Sender und Medienpartner auch darüber, was in der Region bevorzugt über den Äther geht. Durch die Personalunion des NDR Klangkörperchefs Rolf Beck, der als Intendant zugleich das Schleswig-Holstein Musik Festival leitet, ist der NDR zudem eng mit dem größten Flächenfestival Norddeutschlands verbunden. Im Klartext: Hamburgs Metropolenträume hängen auch ab vom Plazet einer Vierländeranstalt, die ihre eigenen und die Interessen der Konkurrenz zu wahren hat.

Was aber, so muss man sich fragen, wäre denn eine Musikmetropole Hamburg, wenn nicht ein Leuchtturm auf dem platten Land? Ein Ort, wo Konzerte stattfinden, wie sie in dieser Qualität und Vielfalt im direkten Umfeld nicht zu finden sind. Ein Ort, an den man deshalb kommt, weil sich bestimmte Dinge so nur hier und nirgendwo sonst erleben lassen. "Alleinstellungsmerkmal" heißt dies im Wirtschaftsdeutsch, und alle Musikmetropolen, die diesen Namen verdienen, haben es in der einen oder anderen Form. Hamburg aber hat nicht einmal, was anderenorts state of the art ist. Wann z.B. hatte man hier zuletzt einen Composer-in-Residence? Wann wäre ein großer Interpret hier nicht bloß in einem Tag durchgereist? Wo ist das Musikfest, das Hamburgs Namen auf der kulturellen Landkarte verortet? Selbst Bremen ist uns da über, und für eine Neue-Musik-Festival musste man zuletzt gar nach Lüneburg oder Kiel fahren. All dies wird sich erst ändern, wenn es sich ändern muss. Die Notwendigkeit, sich zu bewegen, neues Repertoire, neue Konzertformen, Abonnementstrukturen, Musikvermittlungsangebote und Vertriebswege zu etablieren, wird sich aber erst dann ergeben, wenn es im fest gefügten Musikleben der Hamburg AG überhaupt wieder etwas zu gewinnen oder zu verlieren gibt.

Dabei gibt es durchaus Anlass zum Optimismus: Noch nie hat es in der Hansestadt z.B. so viele Initiativen von Musikern und Ensembles gegeben wie im Moment. Für den November standen allein drei kleinere Neue-Musik-Festivals und ein Multimedia-Kongress an; das Jenisch-Haus, der Medienbunker, das Kulturforum Altona oder die Zeise-Hallen sind als Veranstaltungsorte privat organisierter Konzerte und Reihen hinzugekommen. Manches mag noch randständig sein, und nicht alles wird sich halten, doch es ist der Boden auf dem eine lebendige Musikstadt gedeiht. Für die Oberliga aber führt kein Weg daran vorbei, dass die Stadt, die sich das Musikmetropolenthema auf die Fahne geschrieben hat, sich auch dafür engagiert. Nicht nur finanziell, sondern vor allem durch den offensiv vertretenen Anspruch, als eigenständiger starker Akteur im Konzertleben der Region aufzutreten. Diese Rolle kommt Hamburg als Trägerin eines traditionsreichen Philharmonischen Orchesters, zukünftig zweier Konzerthallen sowie erst noch zu gründender Festivals (z.B. einer lange angekündigten Triennale mit Musiksparte) nun einmal zu. Stellt man sich diesem Anspruch nicht, wird "Musikmetropole" in Hamburg auch weiterhin nur ein Wort bleiben.