Ilja Stephan Musikpublizist

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Internationale Musikfest Hamburg - Duell der Platzhirsche
erschienen in: Das Orchester, Heft 2/2016, S. 42-43.

Am 11. Januar 2017 soll in Hamburg die Elbphilharmonie eröffnet werden. Dieses Mal wird der Termin eingehalten, ganz bestimmt, großes Ehrenwort, so bekunden die Projektverantwortlichen. Und so steht das Musikleben der Stadt schon heute im Zeichen des großen Ereignisses: Man läuft sich warm und bringt sich in Stellung. Dies gilt auch für das Zweite Internationale Musikfest Hamburg, das vom 21. April bis 22. Mai 2016 stattfinden soll und dessen Programm Ende November 2015 – zunächst nur online – bekanntgegeben wurde. Das Internationale Musikfest ist das Vorzeigeprojekt der ambitionierten Musikstadt in spe; hier haben sich alle großen Player der Stadt, die HamburgMusik, der NDR, die Staatsoper und das Philharmonische Staatsorchester Hamburg, die Hamburger Symphoniker, das Ensemble Resonanz sowie der größte private Veranstalter, die Konzertdirektion Dr. Rudolf Goette, zu einer konzertierten Aktion zusammengerauft.

Dass es nun ein solches Festival gibt, ist ebenso wenig selbstverständlich wie die Kooperation unter den öffentlichen und privaten Veranstaltern. Vielmehr ist das eine wie das andere das positive Ergebnis einer langen, weniger positiven Vorgeschichte. Musikfeste gab es in Hamburg bereits zwei: ein erstes Anfang der1990er und eine Neuauflage während der Ära von GMD Ingo Metzmacher. Dessen Nachfolgerin Simone Young rief dann ihre „Ostertöne“ ins Leben. Keinem dieser Festivals aber war eine allzu lange Lebensdauer beschieden. Dafür gab es lang andauernde Querelen um den Termin und den Zuschnitt eines künftigen, großen, musikstadtwürdigen Festivals. Um die Festivals in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern nicht durch Konkurrenz zu gefährden, hatte sich Hamburgs damalige Kultursenatorin Karin von Welck bereits 2007 auf einen Festivaltermin in der laufenden Konzertsaison festgelegt. Diese Grundentscheidung prägt seither die meisten Festivalaktivitäten in der Stadt: Deren Programme bündeln Konzerte, die Bestandteil der jeweiligen Abo-Zyklen und Konzertreihen sind; die Kooperationspartner legen einige Saisonhighlights in die Festivalzeiten. Gewiss gibt man sich mit diesen „Bonbons“ besondere Mühe, doch Zusätzliches, Besonderes außer der Reihe, entsteht so meist nicht. Von dieser Erblast ist auch das Internationale Musikfest Hamburg nicht frei.

Als Christoph Lieben-Seutter 2007 sein Amt als Generalintendant von Laeiszhalle und Elbphilharmonie antrat, hatten viele Beobachter gehofft, hier würde einer „durchregieren“ und das dahindümpelnde Musikleben der Hansestadt im Alleingang in Schwung bringen können. Doch diese Hoffnung erwies sich bald als unrealistisch. Manche der Querelen zwischen der neu geschaffenen HamburgMusik als Betriebsgesellschaft der künftig zwei Konzertsäle und alteingesessenen Veranstaltern führten sogar bis vor den Kadi. Statt „durchzuregieren“ spann Lieben-Seutter also in mühsamer Kleinarbeit ein Netz von Kooperationen: Mit Initiativen wie „Mahler in Hamburg“ oder dem Festival „Lux aeterna“ für geistliche Musik schaffte er es, die drei großen Orchester bzw. die öffentlich-rechtlichen Veranstalter der Stadt unter einen Hut zu bekommen. Die Konzertreihen der Konzertdirektion Goette, die seinerzeit gegen die HamburgMusik geklagt hatte, finden heute in Kooperation von Ex-Beklagtem und Ex-Kläger statt. Und für sein 2013 gegründetes Neue-Musik-Festival „Greatest Hits“ holte der Generalintendant nicht nur das Kulturzentrum Kampnagel, sondern in diesem Jahr auch den NDR mit an Bord. So war das Erste Internationale Musikfest Hamburg von 2014 mit rund 35 000 Konzertbesuchern die Frucht und vorläufige Krönung dieser intensiven Kooperationspolitik.

Was nicht bedeutet, dass seither nur eitel Sonnenschein herrscht. Das von vielen erwartete, gar erhoffte und herbeigeschriebene Duell der Hamburger Platzhirsche, Kent Nagano als Chef der Staatsoper und der Philharmoniker und Thomas Hengelbrock als Chef des NDR Sinfonieorchesters, wird wohl auch das Musikfest prägen. Schon, einen gemeinsamen Termin für eine Pressekonferenz zu finden, erwies sich (bis zum Redaktionsschluss dieser Ausgabe) als unüberwindliche Hürde. Doch das Programm bezeugt deutlich genug den Anspruch der beiden Chefdirigenten und das Proporzdenken der Festivalmacher: Jeder darf drei große Projekte beitragen. So wird Kent Nagano das Internationale Musikfest mit Romeo Castelluccis Inszenierung von Bachs Matthäuspassion eröffnen. Am Tag darauf zieht Hengelbrock mit einer konzertanten Fassung von Dallapiccolas „Il Prigioniere“ nach. Im weiteren Verlauf des Festivals dirigiert Nagano dann Brahms’ „Deutsches Requiem“ und Raummusiken von Gabrieli und Boulez in der Hauptkirche St. Michaelis und huldigt Beethoven und Schostakowitsch mit einem Sonderkonzert in der Laeiszhalle. Hengelbrock bringt dagegen Purcells „Dido and Aeneas“ in das sonst für Zeitgenössisches und Off-Kultur bekannte Kulturzentrum Kampnagel und huldigt dem Hamburger Musikhausheiligen Johannes Brahms mit einem alle vier Symphonien umfassenden Marathon-Konzert.

Doch um sich mit Recht „international“ nennen zu können, bedarf das Musikfest Hamburg natürlich auch transhanseatischer Gäste: Patricia Kopatchinskaja ist in der Saison 2015/16 Artist-in-Residence bei den Elbphilharmoniekonzerten; zum Musikfest wird die Geigerin drei außergewöhnliche Programme u.a. mit dem Ensemble Gilles Binchois und dem Mahler Chamber Orchestra beitragen. In den Konzertreihen der HamburgMusik und ihres Kooperationspartners Goette sind während der Festivalwochen außerdem weitere nationale und internationale Größen eingeladen: François-Xavier Roth wird seine eigene Truppe Les Siècles und eines der letzten Konzerte des SWR Sinfonieorchesters dirigieren, Andris Nelsons kommt mit seinem Boston Symphony Orchestra und Paavo Järvi mit der Deutschen Kammerphilharmonie. Und da „Freiheit“ das verbindende Motto über den Konzerten des Internationalen Musikfestes 2016 bildet, passt es bestens, dass zum Festivalabschluss Beethovens Neunte mit dem Concentus Musicus Wien und dem Arnold Schönberg Chor auf dem Programm steht.