Ilja Stephan Musikpublizist

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ProPiano - Musikalische Bürgerinitiative
Gudrun Parsons und der Verein ProPiano
in: Welt am Sonntag, 21. Dezember 2014, Hamburg-Teil.

Bis zum Jahr 2025 soll Hamburg die relevanteste Musikstadt Deutschlands werden. So steht es in dem Standpunktepapier, das die Handelskammer im August dieses Jahres vorlegte. Wie dieses ehrgeizige Ziel zu erreichen sei, darüber streiten nun Musik- und Marketingfachleute. Den Namen Gudrun Parsons wird keiner dieser Experten je gehört haben. Gudrun Parsons ist eine Hamburgerin wie sie im Buche steht. Sie stolpert über einen spitzen Stein, geistig bewegliche Menschen nennt sie „plietsch“, und ihr Humor ist mehr von der lakonischen Art. Nimmt man den persönlichen Einsatz als Maßstab, so ist Gudrun Parsons darüber hinaus die wahrscheinlich engagierteste Konzertveranstalterin der Stadt.

Im Hauptberuf verdient Parsons ihr Geld als Fremdsprachliche Angestellte bei der Universität Hamburg. Ihre Passion aber ist die Klaviermusik. Während andere in Urlaub fahren, reist Gudrun Parsons zu den Pilgerstätten des Pianokults. „Ich lege mich nicht an den Strand, ich fahre um mir Konzerte anzuhören“, erzählt die Klaviertouristin. Und sie schwärmt von dem Piano Festival in der ehemaligen europäischen Kulturhauptstadt Lille oder von vielen kleinen Spielstätten, die es im Pariser Musikleben zu entdecken gebe.

Reisen bildet – und es verschiebt die Maßstäbe. Parsons wurde bald bewusst, was in ihrer Heimatstadt fehlt: „Es gibt so viele tolle Pianisten, die hört man aber nie in Hamburg.“ Und so beschloss sie kurzerhand, selber unter die Veranstalter zu gehen. Zusammen mit sechs Bekannten gründete sie 2007 den gemeinnützigen Verein ProPiano und stürzte sich kopfüber in ihr erstes Veranstaltungsabenteuer. Zu Johannes Brahms’ 175 Geburtstag stellte der Verein 2008 ein Brahms-Festival auf die Beine. Das gesamte Klavierwerk zu zwei Händen hätte man damals hören können. Doch kaum jemand kam, und Sponsoren blieben ganz aus. „Da haben wir viel Geld verloren“, so resümiert Parsons heute ihr Veranstalter-Debüt.

Aufgegeben hat sie deshalb nicht. Obwohl sie von Stiftungen und Behörden auf Anfragen zum Teil „stark ablehnende Antworten“ bekommen habe, stemmt der Verein 2013 sein zweites Großprojekt. Ein Festival zu Ehren des legendären Liszt-, und Chopin-Zeitgenossen Charles Valentin Alkan. Dessen hypervirtuose Werke sind ebenso schwer zu spielen wie der Name ihres Verfassers unbekannt ist. Weshalb man sie im normalen Konzertbetrieb kaum zu hören bekommt. Dem Deutschlandfunk erschien das Alkan-Festival als so wichtig, dass er es aufzeichnen und senden ließ. Anerkennung im hanseatischen Kulturbetrieb fand die rührige Hobbyveranstalterin nach eigener Aussage trotzdem nicht. „Die Leute lachen ja über uns.“

Dabei müsste eigentlich Gudrun Parsons gut lachen haben, denn ihr gelang der Coup, den alle anderen verschlafen hatten. Im Mai 2013 holte Parsons den absoluten Überflieger der Pianistenszene, den jungen Russen Daniil Trifonov, zu seinem Hamburg-Debüt in ihre Konzertreihe. „Da kommt keiner, das können sie nicht machen“, so hätten Experten ihr wegen des unglücklich platzierten Konzerttermins damals geraten. Tatsächlich war das Konzert ausverkauft. „Aus der Schweiz waren Leute da, aus Frankreich und aus allen Teilen Deutschlands“, berichtet Parsons stolz. Offenbar weiß sie, was Klaviertouristen hören wollen.

Doch trotz solcher Erfolge bleiben die Konzerte von ProPiano eine reine Liebhaberei. Die Flyer für ihre Konzerte entwirft Gudrun Parsons selbst – beim Verteilen helfen ihr Sohn und andere Vereinsmitglieder. Für die Programmierung der Vereins-website eignete sich die erklärte „Do-it-yourself-Fachfrau“ sogar HTML-Kenntnisse an. Die größte Hürde bleibt die Finanzierung der Konzerte. „Wir veranstalten von der Hand in den Mund“, so fasst Parsons ihren Businessplan zusammen. Was durch Eintrittsgelder, Werbung auf den Flyern und sehr vereinzelte Zuschüsse der Kulturbehörde zusammenkommt, muss reichen. Dass es reicht, liegt auch daran, dass Parsons auf ihren Klavierreisen den direkten Kontakt zu den Künstlern sucht, um sie für ganz spezielle Projekte zu gewinnen. Ihre Maxime lautet: „In aller Regel spreche ich lieber nicht mit Managern.“

Wie absurd der kommerzielle Klassikbetrieb sein kann, konnte man jüngst im Hamburger Musikleben beobachten. Ende November spielte Alexei Lubimov, ein von Kennern hoch geschätzter, ganz Großer der Pianistenzunft bei freiem Eintritt in Rolf-Liebermann-Studio. Und kaum jemand hat es bemerkt. Kommt Lang Lang in die Stadt, sind selbst die teuersten Karten schnell ausverkauft. Die Lücke, die sich hier auftut, besetzt Gudrun Parsons. So lädt sie 2015 mit Francesco Libetta und Alexander Ghindin zwei exzellente Pianisten nach Hamburg ein, deren einziger „Makel“ darin besteht, dass sie nicht im großen Klassikzirkus mitspielen.

In welcher Tradition Gudrun Parsons sich selber sieht, verrät der Name, unter dem sie ihre Konzerte veranstaltet: „Thomas Britton Salon“. Anfang des 18. Jahrhunderts organisierte der Kohlenhändler Britton in seiner bescheidenen Hütte im Londoner Stadtteil Clerkenwell Konzerte, bei denen der Komponist der „Beggar’s Opera“, Johann Christoph Pepusch, und sogar der große Händel gespielt haben sollen. Parsons nennt Britton den „Urvater aller Laienveranstalter“ und fasst das Wirken ihres Vorbilds in einem Satz zusammen: „Morgens hat er Kohlen ausgetragen, abends hat er seine Konzerte veranstaltet.“

Für ihre eigenen Konzerte hat sich Gudrun Parsons noch eine hübsche, echt hanseatische Tradition ausgedacht. Nach jedem Konzert geht sie mit ihren Künstlern Labskaus essen. „Das hat noch jedem geschmeckt.“ So kann man auch für die Musikstadt Hamburg werben.