Ilja Stephan Musikpublizist

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Ensemble Resonanz - Der Ort des "missing link"
Das Ensemble Resonanz bezieht seinen Resonanzraum
in: das Orchester, 12/2014, S. 46/47

Hamburg wächst. Wer mit der Bahn von Süden her in die Stadt einfährt, kann förmlich zusehen, wie ehemalige Hafengebiete sich in urbanen Raum verwandeln. Und mit dem Baumboom wächst auch der Anspruch der Stadt. Das große Wort von der „Musikmetrople“ ist inzwischen zwar aus dem Wortschatz der Stadtoberen gestrichen, doch das Ziel wird weiterhin verfolgt. „Musikstadt Hamburg“ heißt die neue Losung. Und die wird – nachdem man das Elbphilharmonie-Planungsdesaster leidlich verarbeitet hat – zunehmend planvoller umgesetzt. Jüngst veröffentlichte sogar die Handelskammer, das inoffizielle Machtzentrum der Hansestadt, eine eigenes Standpunktepapier zur „Musikstadt Hamburg“. Kulturpolitik ist Standortpolitik; die Schaffung von Räumen für „kreative Milieus“ wird stadtplanerische Kernaufgabe.

Ein Bollwerk hanseatischer Kulturpolitik ist der so genannte Medienbunker. Der riesige Flakturm aus dem Zweiten Weltkrieg liegt mitten im Stadtteil St. Pauli, der „kreativen Stammzelle“ der Stadt, in Sichtweite von Reeperbahn und Millerntor-Stadion. Hinter meterdicken (schalldichten) Betonmauern wächst hier ein Musik-Cluster: Der beliebte Club „Uebel und Gefährlich“, der Internetradiosender ByteFM, der Musikalienhandel Just Music und die Pop-Ausbildungsstätte Hamburg School of Music haben hier ihren Sitz. Und auch die E-Musik-Fraktion ist vertreten. Seit Jahren schon betreibt der Kirchenmusiker Michael Petermann in seinem Studio die Reihe „Bunkerrauschen“. Seit neustem hat nun auch Hamburgs Vorzeigekammerorchester im ersten Stock des Medienbunkers einen neuen Stammsitz. Am 31. Oktober eröffnete der Ensemble Resonanz seinen „Resonanzraum“.

Seit es 2002 das erste Ensemble-in-Residence der Laeiszhalle – Musikhalle Hamburg geworden war, hatte das Ensemble Resonanz immer eine Pionierfunktion – und es war seither auf der Suche nach angemessenen Räumen. Die Resonanzler waren die Ersten, die den entkernten Kaispeicher, auf dem sich (irgendwann) die Elbphilharmonie erheben soll, mit ihrer Reihe „Kaispeicher entern“ bespielten. Und in ihren provisorischen Probenräumen im Kulturhaus 73, mitten im angesagten Schanzenviertel gleich neben der Roten Flora, riefen sie die Reihe „urban string“ ins Leben. Hier konnte man mit einem Bier in der Hand entspannt in einem Sessel sitzend einem Programmmix von Perotin über York Höller bis DJ Booty lauschen. Diese Mischung aus klassischem Konzert und Club zog kulturelle Grenzgänger aller Couleur an, vom ergrauten Spät-68er in Lederjacke bis zum jungen Szenegänger.

Mit dem „Resonanzraum“ baute sich das Ensemble nun ein Zuhause, der ganz auf seine Bedürfnisse zugeschnitten ist. In den Räumen einer ehemaligen Druckerei finden ein kleiner Konzertsaal, zwei Stimmzimmer, Büros und ein Lager Platz. Kernstück des neuen Stammsitzes ist der eigentliche „Resonanzraum“, ein Multifunktionssaal, der sowohl als Konzert- und Probensaal wie als Club und Event Location funktionieren soll. E-Musik unplugged und Party-Mucke aus dem Verstärker muss hier gleichermaßen gut klingen. Möglich wird dies durch drehbare Schallwände, die aussehen als wögen sie etliche Tonnen und die doch so genial gelagert sind, dass man sie mit einem Fingerdruck bewegen kann. Durch diese von jeder Seite unterschiedlich beschichteten Wände kann der Saal an die jeweiligen akustischen Erfordernisse angepasst werden. Bei variabler Bestuhlung wird der Raum zwischen 270 bis maximal 300 Personen fassen; fest eingebaut ist nur das unverzichtbare Mobiliar eines Clubs: die Bar.

Um ihren Idealraum zu verwirklichen musste das Ensemble Resonanz aber nicht nur selber unter die Bauherren gehen, sondern auch unter die Gastronomen. Der Umbau von einer Druckerei zu einem Ensemble-Stammsitz kostete rund 700 000 Euro, finanziert zu großen Teil durch Hamburger Stiftungen und einen Zuschuss der Kulturbehörde. Das Nutzungskonzept sieht vor, dass der Raum als Probenort für das Ensemble Resonanz und als neuer Spielort für dessen Reihe „urban string“ dient – die soll zukünftig allmonatlich stattfinden. Um die laufenden Kosten zumindest teilweise wieder hereinzubekommen soll der „Resonanzraum“ darüber hinaus an andere Ensembles und Veranstalter vermietet werden. Die öffentlichen Kulturveranstaltung will das Ensemble kuratieren, um das Profil der neuen Spielstätte zu prägen und zu wahren. Daneben wird der „Resonanzraum“ aber auch als Location für nichtöffentliche Events vermietet werden. Und so ist Resonanz-Geschäftsführer Tobias Rempe seit neustem nicht nur Experte für Baurecht, Denkmalschutz- und Sicherheitsbestimmungen, sondern auch noch Inhaber einer Schankerlaubnis.

Als Konzertort für neue Musik wird der „Resonanzraum“ in Zukunft sicher eine Lücke schließen. Denn an Neue-Musik-Spielstätten gab es bislang vor allem das Rolf-Liebermann-Studio des NDR, dessen Angebot mit 450 Plätzen häufig größer ist als die Nachfrage. Daneben hatte sich in den letzten Jahren vor allem Kampnagel als alternative, aber akustisch wenig befriedigende Spielstätte etabliert. So steht die Reihe NDR das neue werk als erster Untermieter im „Resonanzraum“ schon fest; in der Saison 2014/2015 werden der Pop-Avantgardist Felix Kubin und das Ensemble Mosaik hier auftreten.

Flankiert wird die Eröffnung des „Resonanzraums“ durch eine Imagekampagne mit dem Titel „radikale Resonanz“. Hier wird der Grundgedanke, der dem Ensemble seinen Namen und sein Programm gab, auf die Spitze getrieben: „Resonanz zwischen alter und neuer Musik soll entstehen, Resonanz zwischen Künstlern verschiedener Sparten, und vor allem: eine intensivere und radikalere Resonanz zwischen Künstlern und Publikum, als sie in vielen klassischen Konzerten möglich ist.“ So positioniert sich das Ensemble Resonanz als „missing link“ in der Evolution der „Musikstadt Hamburg“; das designierte Ensemble-in-Residence der Elbphilharmonie soll die Verbindung herstellen zwischen etablierter Hoch- und alternativer Clubkultur. Kommt alles so, wie Kultursenatorin Barbara Kisseler es sich wünscht, wird „klassische Musik in einer jungen und urbanen Szene salonfähig“.