Ilja Stephan Musikpublizist

Themen

Komponisten

Interpreten

Ostasien

Hamburg

Musikkindergarten Hamburg - Tägliches Musikbad
erschienen in: das Orchester, Heft 10/2014, S. 43.

Im Schanzenviertel, dort, wo die Hansestadt Hamburg am hipsten ist, liegt der Musikkindergarten Hamburg. Studentenkneipen, Ateliers für „Körper, Bewegung und Improvisation“ und türkische Gemüsehändler prägen das Stadtbild und das Lebensgefühl dieses Viertels. Und auch die „Rote Flora“, der Stammsitz der Gegenkultur, vor dem am 1. Mai jeden Jahres die obligatorischen Krawalle zelebriert werden, liegt nicht fern. Doch der Trend geht zur Gentrifizierung. Rings umgeben von einer Galerie, einem Szene-Restaurant und Firmen mit Namen wie „Netzpiloten“ hat der Musikkindergarten in den kernsanierten ehemaligen Viehgroßmarkthallen der Schanzenhöfe seinen Sitz. Hier toben die Kleinen im umzäunten Außenbereich, während vis a vis Große, die „was mit Medien machen“ ihren café latte trinken.

Dass es den Musikkindergarten gibt, verdankt sich der Initiative einer Person: Die Radiomoderatorin Maria Willer hatte die Idee, das Konzept von Daniel Barenboims Musikkindergarten auch in Hamburg zu etablieren. Willers Vater, Matthias von Hülsen, war an der Gründung der Festspiele in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern beteiligt, Willer selbst war Moderatorin bei Klassik-Radio, Kontakte zur Klassikszene waren also vorhanden. Und so gelang es Maria Willer, Simone Young, die Staatsoper und die Philharmoniker als Kooperationspartner zu gewinnen. Das Benefizkonzert zur Eröffnung der Baustelle im Januar 2010 war ein echtes Medienereignis: Hamburgs Generalmusikdirektorin, Daniel Hope und Sebastian Knauer machten Musik; Fernsehkoch Tim Mälzer, dessen „Bullerei“ gleich um die Ecke liegt, bekochte die versammelte Prominenz.

Im September 2010 nahm der Musikkindergarten dann seinen Betrieb auf; Maria Willer hatte sich nach vollbrachter Tat zurückgezogen und die Führung des Kindergartens der Stiftung Kindergärten Finkenau als Träger überlassen. Seit vier Jahren herrscht nun also für 120 Kinder und 17 Erzieher Kita-Alltag. Der beginnt allmorgendlich wie in vielen anderen Kitas auch mit dem Frühstück; im Musikkindergarten aber wird schon dieser Tagesordnungspunkt von einem Lied begleitet, wozu einer der Erzieher auf einem der beiden bunt bemalten Stutzflügel im Speisesaal in die Tasten greift.

Musik soll den Tagesablauf der Kinder durchdringen, so das Konzept des Musikkindergartens. Von einem „Musikbad“ für die Kinder spricht dessen musikalische Leiterin Eva Biallas. Ziel sei nicht, kleine Virtuosen heranzuzüchten; doch auch bei der gerne gebrauchten Formel „Erziehung durch Musik“ runzelt Biallas die Stirn. Sie halte nichts davon, wenn Musik für Erziehungszwecke „missbraucht“ werde, bekundet die Instrumentalpädagogin mit wohltuender Distanz zu den verbreiteten Musikerziehungsmythen. Musik sei kein Hilfsmittel, um Kinder klüger, sozialer, intelligenter etc. zu machen. Zuallererst sei Musik etwas Schönes, das Freude mache und seinen Zweck in sich selbst habe. Wenn es gelinge, das zu vermitteln, ergebe sich vieles Andere meist von alleine.

Dank der Sponsoren und Partner, die Maria Willer für ihr Projekt gewann, verfügt der Musikkindergarten über die nötige Infrastruktur für ein solches Musikbad. Neben den beiden Flügeln stehen mehrere Klaviere in den Gruppenräumen verteilt, und in einem schallisolierten Musikraum finden sich Gitarren, Orff-Instrumente, Blockflöten und eine saitenbespannte Klangwippe, die den Kleinen zum musikalischen Freispiel zur Verfügung stehen. Daneben erhält der Musikkindergarten einmal pro Woche Besuch von Instrumentalisten der Philharmoniker Hamburg oder Sängern der Staatsoper, die ihre Instrumente vorführen oder kleine Opernszenen mit den Kindern erarbeiten. – Lange Zeit, so berichtet Biallas, hätten die Philharmoniker-Mitglieder das ehrenamtlich getan, heute bekämen sie immerhin einen halben Dienst angerechnet.

Zu den Früchten solcher Kooperationen zählt auch die Kinderoper „Guten Abend, gut' Nacht, kleine Wolke“, die die Musikpädagogin der Staatsoper, Kathrin Barthels, für Kinder von drei bis fünf Jahren erarbeitet hat. In der Vorbereitungsphase konnten rund 20 Brückenjahrkinder des Musikkindergartens bei den Proben und der Produktion dieses Singspiels dabei sein und wurden zugleich in Workshops auf ihren ersten echten Opernbesuch eingestimmt. Am 23. März 2014 hatte die „Kleine Wolke“ dann in der Opera stabile, der Experimentierbühne der Hamburger Staatsoper, Premiere.

Am wichtigsten für das Gelingen des pädagogischen Konzeptes sind aber sicher die Erzieher, sie sind es, die das Musikbad einlassen. Musikalische Vorbildung könne man dabei leider nicht immer voraussetzen, sagt Eva Biallas, aber die Bereitschaft zur beständigen Weiterbildung sei unerlässlich. – Hinzu kommen praktische Erfahrungswerte. So neigten Erwachsene durchweg dazu, für Kinder zu tief zu singen und den Kleinen damit die Intonation zu erschweren, verrät Biallas. Ihr Pädagogenteam habe sich deshalb im Laufe der Zeit eine Terz raufarbeiten müssen. So singen, spielen und erziehen im Musikkindergarten heute also musikaffine Erzieher, Musikpädagogen und Quereinsteiger wie der Schul- und Kirchenmusiker Kai Schnabel, der mit seinen Eigenkompositionen zugleich das hauseigene Liedrepertoire beständig erweitert.

Der Zugang zum Musikkindergarten Hamburg ist grundsätzlich offen; die Kosten für einen der 120 Plätze für Kinder von einem bis sechs Jahren werden von der Hamburger Behörde für Soziales und Familie anteilig übernommen; Eltern zahlen den üblichen einkommensabhängigen Familienanteil. Künstler und Akademiker aus der unmittelbaren Umgebung seien es vor allem, die ihre Kinder hierher schicken würden, so Biallas. Am Anfang habe man dabei noch mit den übersteigerten Erwartungen mancher Eltern zu kämpfen gehabt, berichtet die musikalische Leiterin. Chinesisch-Unterricht für die Kleinsten wollte man deshalb aber trotzdem nicht einführen. Inzwischen hat sich auch so herumgesprochen, was der Musikkindergarten seinen Zöglingen zu bieten hat.