Ilja Stephan Musikpublizist

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Computerspielmusik aus Hamburg - Die Musik zum Daddeln
in: Welt am Sonntag, 06. April 2014, Hamburg-Teil.

Gut gemacht, Erdling. Dieses Mal hast Du gewonnen.“ So verkündete bei dem Computerspielklassiker „Space Invaders“ von 1978 ein Schriftzug, wenn man alle anfliegenden Aliens abgeschossen hatte. Die Musik zu diesem Ballerspiel der ersten Stunde bestand aus einer Sequenz von vier Elektrobrummtönen, die umso schneller wurde, je mehr Treffer man erzielte. Erregung gleich Geschwindigkeit, das war die simple Formel bei dieser Mutter aller Games-Musiken. Heute, fast vier Jahrzehnte später, schickt die Computerspielmusik sich an, eine Kunstform eigenen Rechts zu werden. Konzerte mit den großen, symphonischen Soundtracks von Games-Klassikern füllen in Japan, den USA, Russland, Mexiko und sehr vereinzelt auch in Deutschland Konzertsäle und sogar Stadien.

Glaubt man der Selbstdarstellung der Hamburger Wirtschaftsförderung, so ist die Hansestadt der „Hafen der Games-Branche“. Mag die Internetindustrie auch in Berlin sitzen, Spiele kommen aus Hamburg. Und die Musik zu diesen Spielen? Wer komponiert eigentlich unter welchen Bedingungen die Soundtracks zu den zahllosen Daddelerlebnissen, die in der Medien- und ambitionierten Musikstadt Hamburg produziert werden? Eine kleine Bestandsaufnahme zeigt das Bild einer Branche in der Findungsphase.

Hamburg hat sich einige Mühe gegeben, die Games-Industrie an die Stadt zu binden: So gibt es an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) den Studiengang Games-Master; und die Initiative gamecity:Hamburg kümmert sich um die Standortbedingungen für die digitale Unterhaltungsindustrie. Zu den Früchten solcher Förderung zählen kleine Startup-Firmen wie „Threaks“. Wer die „Three Freaks“ heute in ihrem neu bezogenen Büro besucht, erlebt echte Startup-Atmosphäre: Die Kaffeedose ist leer, die gerahmte Urkunde vom letzten Wettbewerbserfolg findet sich irgendwo hinterm Schrank, und beim Chefprogrammierer sitzt ein Hund auf dem Schoß, der seine Wächterfunktion tierisch ernst nimmt.

Die Geschäftsidee von Wolf Lang und Sebastian Bulas, so heißen die zwei verbliebenen Gründer der „Drei Freaks“, ist bestechend einfach: Videospiele als neuer Vertriebskanal für Musik, Synergien schaffen zwischen Musik- und Spielebranche. Die Idee dazu kam den beiden Grafik-Designern noch während ihres Studiums an der HAW. Gemeinsam entwickelten sie eine Software, die Musikstücke visualisiert und in eine Spielemechanik integriert. Das Ergebnis war „Beatbuddy“, ein rhythmusbegabter Wassertropfen, der sich durch die pulsierende Unterwasserwelt „Symphonia“ kämpft, in der „Snare-Bubbles“ aufsteigen und „Hi-Hat-Krabben“ zuschnappen. Mit jeder Spieleaufgabe, die der kleine Actionheld löst, aktiviert er neue Elemente eines Songs, nach und nach setzt sich so die Musik zusammen.

Mit dieser Idee gewann „Threaks“ etliche Preise, und jeder öffnete die Tür zu weiteren Förderern und Kontakten. Der „Pro-Ideen-Fonds“ unterstützte die Produktion des Prototyps; „Exist“, die Initiative für Existenzgründer, förderte die Erstellung eines Businessplans. „Ohne diese Strukturen gäbe es uns nicht“, sagt Wolf Lang. Bis zu neun Angestellte beschäftigte das Startup-Unternehmen in der Produktionsphase von „Beatbuddy“. Für die Komposition eines Songs gewann „Threaks“ sogar den Games-Komponisten Austin Wintory, der als einer der Ersten seiner Zunft für einen Grammy nominiert worden war.

Wenn Wolf Lang heute die zurückliegenden Jahre als „Horrorreise“ bezeichnet, dann sind daran weder technische noch kreative Schrecknisse schuld. GEMA, Urheberrechte, Lizenzen, so lauten die Stichworte, bei denen sich die Mienen der Gründer verfinstern. Games-Musik-Komponisten seien für gewöhnlich nicht in der Musikverwertungsgesellschaft GEMA, erläutert Lang, GEMA-Komponisten dagegen seien für den Spielebereich zu teuer. Die vorläufige Lehre aus langen Rechtestreitigkeiten sei also, dass „Threaks“ für sein nächstes Projekt zwar mit einer „größeren Band“ zusammenarbeite, aber die „kommt nicht aus Deutschland“. Um die Rechte für alle „Beatbuddy“-Songs zu sichern, hatte „Threaks“ sogar einen der großen Konzerne des Musikbusiness als Partner gewonnen. Doch die Entscheidungswege bei dem von den USA aus geleiteten Mayor waren so lang, dass die Spieleentwickler nach drei Jahren Vorarbeiten schließlich entnervt auf die Kooperation verzichteten. „Die kennen halt ihr Geschäft, CD-Verkäufe und Konzerte“, so resümiert Lang den Versuch, Synergien zu schaffen zwischen Game- und Musikindustrie.

Geschichten über die Fesseln und Fallstricke, die das Urheberrecht für Kreative bereithält, nimmt der Komponist Michael Stoeckemann mit ungerührter Miene zur Kenntnis. Er hört sie von Kollegen allzu oft. „Was viele nicht wissen, ist, dass ich meinen GEMA-Vertrag auch gestalten kann. Ich muss ihn nicht unterschreiben wie er ist.“ Als gelernter Versicherungskaufmann hat er seinen GEMA-Vertrag zuerst gründlich gelesen, als Film- und Games-Musik-Komponist hat er davon später sehr profitiert. Seit 17 Jahren ist Stoeckemann im Geschäft, seit drei Jahren konzentriert er sich mit seiner Firma „Sound of Games“ ganz auf die Games-Sparte.

Seinem Anspruch nach ist Stoeckemann aber zuerst Musiker: „Ich möchte, dass ein Musiker sich meine Soundtracks anhören kann“, lautet seine Devise. Während viele Kollegen ihre Klänge aus Datenbanken beziehen, gilt bei ihm: „Ich mache so viel live wie möglich.“ Ein echtes Unikum in der Branche ist, dass „Sound of Games“ Musik nicht nur live einspielt, sondern auch live aufführt. Bewaffnet mit zwei Tablets und eingepackt in eine Art Raumanzug treten Stoeckemann und seine Geschäftspartner Filipp Issa auf Spielemessen als Duo auf. Gerade die guten alten Songs aus der Spielesteinzeit würden nostalgische Gamer immer wieder begeistern, weiß Stoeckemann zu berichten.

Den Komponisten selbst begeistern vor allem die neuesten technischen Entwicklungen: Die Präsenz in Sozialen Medien nennt er sein „Brot und Butter-Geschäft“, und dank Tablets und Handy-Apps würden „monatlich rund 50 Millionen Menschen“ seine Musik hören. „Die Chancen sind riesengroß“, schwärmt Stoeckemann, „und da wird noch viel kommen – ich glaube aber wenig aus Deutschland.“ Die größten Entwicklungsbudgets gäbe es in den USA, und das beste Orchester für Games-Musik-Produktionen sitze in Mazedonien. „Grandiose Musiker“ nennt Stoeckemann, der selber Geiger ist, seine Kollegen dort. Die deutsche Musik- und Orchesterszene sei dagegen zu sehr „klassikgeprägt“, wenn es um Musik gehe, die grooven müsse.

Das gelobte Land für Games-Musik-Komponisten sind für Michael Stoeckemann die USA: „Dort ist der Qualitätsstandard viel, viel höher, weil die Leute auch besser ausgebildet sind.“. An diesem Punkt setzt die „Filmsound Hamburg“ an. Diese von der Filmkomponistin Gudrun Lehmann mitbegründetet Sommerakademie bietet seit 2011 Kurse für Filmkomponisten und Sounddesigner an. Vor zwei Jahren erweiterten die Akademiebetreiber das Angebot um einen Meisterkurs für Games-Musik mit Michael Stoeckemann. Und 2013 kam noch ein eigener Wettbewerb für Games-Musik-Komponisten, der YOUNG TALENT AWARD GAMESMUSIC, hinzu. Vorsitzender der Jury ist in diesem Jahr wieder Chris Hülsbeck. Der ist sozusagen der Dirk Nowitzki unter den deutschen Games-Musik-Komponisten, denn der in Kassel geborene Schöpfer der „Turrican“-Soundracks lebt und arbeitet heute in den USA.

Die Chancen der Games-Musik schätzt Gudrun Lehmann ähnlich optimistisch ein wie Stoeckemann. Wie die Filmmusik werde auch die Games-Musik in absehbarer Zeit als konzertfähig voll anerkannt werden: „Der WDR hat angefangen, Games-Musik im großen Stil mit einer Wahnsinnsauslastung aufzuführen. Denen wird die Bude eingerannt von Publikum, das man im Konzertsaal sonst nie sehen würde.“ Doch auch um die Probleme weiß Lehmann. So hat sie für die anstehende Akademie eigens einen Referenten von der Schweizer Verwertungsgesellschaft SUISA eingeladen; der soll den GEMA-geplagten deutschen Kreativen dann wohl die Augen dafür öffnen, wie Rechteverwertung anderenorts anders und vielleicht ja sogar besser klappt.